Der Altman-Code
»So würde ich es auch handhaben, Mr. President. Besser, wir konzentrieren uns auf Fakten und Beweise.« Antwerpen, Belgien Der Hauptsitz von Donk & LaPierre befand sich in einem vierstöckigen Ziegelbau, der 1610 in typischer flämischer Stufenbauweise errichtet worden war. Weil er in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung lag – nördlich des Meir und nicht weit von Grote Markt, Kathedrale und Scheide –, beschloss Dianne Kerr, zu Fuß zu ihrem Termin mit Louis LaPierre, Vor-Standsvorsitzender und Generaldirektor der Firma, zu gehen. Die Empfangsdame schickte sie sofort in die oberste Etage.
Dort eilte ihr zur Begrüßung ein aufgeregter junger Mann entgegen. »Mademoiselle Kerr, welche Ehre. Ich habe Ihren Roman Die Marionette mit großem Interesse gelesen. Ich bin Monsieur LaPierres Privatsekretär, und er kann es gar nicht erwarten, Sie kennen zu lernen. Wenn Sie mir bitte folgen würden.« Die Gänge des alten Gebäudes waren schmal, aber sie hatten hohe Fenster und Decken. Das Gleiche galt für Louis LaPierres Büro. Es war relativ klein – Heizen war im 17. Jahrhundert ein Problem gewesen –, aber hoch, mit hohen Fenstern, schönem Kamin und herrlichem Blick auf Antwerpens großen Hafen.
Der Generaldirektor selbst war klein und zierlich, und sowohl seine Kleidung wie sein Benehmen hatten etwas von der stilvollen Eleganz der Alten Welt. »Ah, Mademoiselle Kerr«, sagte er in tadellosem Englisch mit einem kaum wahrnehmbaren französischen Akzent. »Ich habe natürlich Ihre Bücher gelesen. Sie sind, wie soll ich sagen, ungeheuer spannend. Was für Abenteuer, was für Intrigen, was für Verstrickungen, und diese unnachahmliche Authentizität! Mir persönlich hat vor allem Die Montagsmänner besonders gut gefallen. Wie können Sie so viel über Auftragskiller wissen? Sie müssen anscheinend selbst Geheimagentin gewesen sein.«
»Nein, Monsieur Directeur«, entgegnete Dianne Kerr bescheiden und vollkommen unzutreffend. Man sprach nicht darüber, dass man dem MI6 angehörte. Gegen dieses eherne Gesetz war in jüngster Vergangenheit versto
ßen worden, sogar von einigen derer, die sie für vertrauenswürdig gehalten hatte. Die meisten hielten sich jedoch zum Glück noch an den Kodex. Außerdem war eine Thrillerautorin grundsätzlich gut damit beraten, möglichst keinen Anlass zu Spekulationen über den möglichen Wahrheitsgehalt ihrer Plots zu geben.
LaPierre lachte. »Das bezweifle ich, Mademoiselle Kerr, aber nehmen Sie doch bitte erst einmal Platz. Und dann verraten Sie mir, was mir die Ehre Ihres Besuches verschafft.« Kerr entschied sich für einen brokatbezogenen flämischen Holzsessel. Er war absolut unbequem. »Mit einem Wort – Recherchen.«
»Recherchen?« LaPierre zog eine Augenbraue hoch.
»Haben Sie vor, einen Thriller über Donk & LaPierre zu schreiben?«
»Einen Abenteuerroman über den Chinahandel im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert. Ich fand es zur Abwechslung mal ganz interessant, etwas Historisches zu machen. Ihre Firma blickt auf eine glanzvolle Vergangenheit zurück. Soviel ich weiß, beginnt die Geschichte von Jan Donk Importeure, wie sie ursprünglich hieß, sogar noch früher. Ist das richtig?«
»Allerdings. Demnach möchten Sie also Zugang zu unseren Archiven?«
»Mit Ihrer Erlaubnis.«
»Natürlich, selbstverständlich. Unsere Direktoren werden die richtige Art von Publicity bestimmt begrüßen. Sie werden begeistert sein.« LaPierre lächelte. Dann schien ihm plötzlich ein Gedanke zu kommen, der ihn beunruhigte. »Aber sind Sie sich auch bewusst, dass sich unsere Archive – das heißt, unsere gesamten Geschäftsunterlagen bis herauf zum heutigen Tag – hier in diesem Gebäude befinden?« Dianne Kerr spielte die Überraschte, als sie gekonnt log: »Nein, das wusste ich nicht. Wollen Sie damit sagen … sie sind immer noch griffbereit? Alle? Bis zurück ins sechzehnte Jahrhundert?« LaPierre nickte. »Natürlich sind die damaligen Unterlagen nicht annähernd so zahlreich, und auch der Verwaltungsaufwand war erheblich geringer. Die Dokumente aus dem zwanzigsten Jahrhundert – außer denen der letzten fünf Jahre – sind auf Mikrofilm gespeichert.« Dianne Kerr runzelte die Stirn. »Das bringt natürlich gewisse Probleme mit sich, da Sie mich kaum während der normalen Geschäftszeiten in Ihren Akten stöbern lassen werden, nehme ich einmal an.«
»Das Archiv ist in separaten Räumlichkeiten untergebracht, sodass ich diesbezüglich kein Problem sehe. Nein, die
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