Der Altman-Code
hatte, als Pan hatte durchblicken lassen, und das wiederum hieß, Pan observierte Li Aorong auf eigene Faust. General Chu wollte nicht wissen, was Pan machte, aber gleichzeitig wollte er, dass Pan in der Sache vorankam.
Niu war schon viele Jahre der Überzeugung, dass das die Art und Weise war, wie Pan vorging, und dass er deshalb so ungewöhnlich erfolgreich war – er achtete zwar streng darauf, nicht tatsächlich gegen Befehle zu versto
ßen, bog sie sich aber gleichzeitig so zurecht, dass er Ergebnisse vorweisen konnte. Das war, was Niu jetzt brauchte, und es war einer der Gründe, warum Pan wertvoll war.
»Gut.« Er begann wieder auf und ab zu gehen. »Machen Sie genauso weiter wie bisher.«
»Jawohl, Herr.« Major Pan nickte weise, denn er war sich sehr deutlich bewusst, dass man ihm damit auch zu verstehen gab, den Namen Nius aus allem herauszuhalten.
»Was haben Sie sonst noch für mich?«, fragte Niu.
»Wir haben uns mit Yu Yongfus Geschäften befasst, sind aber auf nichts gestoßen, was uns zu irgendwelchen Aufschlüssen über Colonel Smith verholfen hätte.«
»Was ist mit Yu und seiner Schauspielerehefrau? Gibt es da irgendwelche Anhaltspunkte?«
»Bisher nicht.« Niu kehrte zu seinem Schreibtischstuhl zurück und setzte sich. »Ich hatte mehrmals das Vergnügen, Li Kuonyi persönlich kennen zu lernen. Sie ist eine kluge Frau und gute Mutter. Wenn sie nicht gefunden werden kann, nehme ich einmal an, dass sie nicht gefunden werden will. Und das wiederum könnte bedeuten, dass sie und ihr Mann – wie nennen Sie das? – untergetaucht sind.«
»Dieser Gedanke ist auch mir schon gekommen«, erklärte Pan.
»Und wenn nicht, könnte sie auch ihr Vater fortgeschickt haben, damit sie nicht zur Verfügung stünde, um über die Geschäfte ihres Mannes Auskunft zu erteilen?«
»Auch das wäre eine Möglichkeit, Herr.«
»Oder wird sie vielleicht von mächtigen Kräften versteckt gehalten?« Über diese Möglichkeit wollte Pan nicht sprechen, wenn er auch nicht verneinte, dass es ebenfalls nicht auszuschließen war.
»Haben Sie Hinweise entdeckt, dass sonst noch jemand an der Empress-Affäre beteiligt sein könnte?«, fuhr die Eule fort.
»Nur die belgische Firma, die ich bereits erwähnt habe – Donk & LaPierre.«
»Sonst niemand?«
»Nein.«
»Aber Sie würden es nicht ausschließen, Major?«
»Bei Ermittlungen schließe ich grundsätzlich nichts aus.«
»Ein bewundernswerter Zug bei einem Angehörigen der Spionageabwehr.« Niu hatte sich von dem Moment an, in dem Pan sein Arbeitszimmer betreten hatte, einen Eindruck zu verschaffen versucht, wie dieser zu den einzelnen Punkten ihres Gesprächs stand, hatte es aber wie immer nahezu unmöglich gefunden, zu einem eindeutigen Urteil zu gelangen. Der Blick des Majors blieb ausdruckslos, sein weiches Gesicht neutral und unergründlich. Dennoch, wenn er herausfinden wollte, was er wissen wollte, blieb Niu keine andere Wahl, als sich auf Pan zu stützen.
»Fahren Sie mit Ihren Ermittlungen fort, wie Sie es für angebracht halten, aber erstatten Sie von jetzt an zuerst mir Meldung. Ich muss alles wissen, was die Empress betrifft, insbesondere ihre Ladung sowie den Namen eines jeden, der an der Transaktion beteiligt ist. In China und im Ausland.«
»Zuerst? Könnte ich das für den Fall, dass General Chu Fragen stellen sollte, vielleicht schriftlich haben?« Da war es. Der Agent sicherte sich erneut ab. Fast hätte Niu gelächelt. Andererseits hatte es nur diese Vorsicht Pan ermöglicht, sich in einer Stellung zu halten, in der aus vielen Gründen und aus vielen Richtungen Gefahr drohte. Der Unterschied zwischen einem hervorragenden Praktiker wie Pan und einer Führungspersönlichkeit wie Niu war die Bereitschaft, große Risiken einzugehen. Pan war keine Spielernatur.
Gleichzeitig begann die Eule zu der Einsicht zu gelangen, dass sein lebenslanger Einsatz für China, sein beharrliches Engagement für den Aufstieg seines Landes zu einer wichtigen und friedlichen Weltmacht – dass das alles auf dem Spiel stand. Um sowohl seine Vision als auch seine Nation zu schützen, würde er, wenn nötig, jedes Risiko eingehen.
»Selbstverständlich, Major«, sagte Niu glatt, »aber Sie dürfen sich nur im äußersten Notfall darauf berufen. Ist das klar?«
»Vollkommen, Herr Niu.« Ohne ein weiteres Wort setzte Niu ein Schreiben auf, in dem er Major Pan Aitu zu seinem offiziellen Beauftragten ernannte, der zuerst ihm und sonst niemandem Meldung zu erstatten hatte.
Mit
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