Der Altman-Code
gewöhnlich, weil er nicht nur Wartungstechniker war, sondern auch Spion. Mithilfe des Richtmikrofons in seinem Werkzeugkasten hatte er das letzte Telefongespräch in Weis Arbeitszimmer aufgezeichnet und konnte es jetzt kaum mehr erwarten, das Band seinem Vorgesetzten in der Spionageabwehrabteilung des Ministeriums für öffentliche Sicherheit zu übergeben. Außerdem war seine Ablösung bereits eingetroffen. Der Mann war gerade dabei, vor Weis Arbeitszimmer zu fegen. Auch in seinem Werkzeugkasten, der auf einem Granitblock stand, befand sich ein Abhörgerät, das auf das Fenster des Arbeitszimmers gerichtet war.
Der Spion kletterte von der Leiter und trug sie zusammen mit dem Werkzeugkasten zu einem Schuppen, der hinter dichten Büschen verborgen war, um den Gesamteindruck des Parks nicht zu stören. Sobald er den Schuppen betreten hatte, öffnete er eine Klappe im Boden des Werkzeugkastens und nahm eine Mini-Kassette heraus.
Er steckte sie ein und tätigte mit seinem Handy einen Anruf. »Ich habe eine Aufnahme.« Er lauschte. »Zehn Minuten, ja. Ich komme sofort hin.« Er schaltete das Handy aus, schloss den Schuppen ab und eilte durch den herrlichen Garten zu einer bewachten Seitentür in der Außenmauer, die nur von Wartungspersonal benutzt wurde.
Der Wachposten, der ihn jeden Abend nach Beendigung seiner Schicht nach draußen ließ, bestand trotzdem darauf, seinen Ausweis zu sehen. »Heute sind Sie aber spät dran.«
»Eine dringende Reparatur für Herrn Wei. Einer seiner blöden Scheinwerfer ist kaputtgegangen. Er hätte fast einen Herzinfarkt bekommen. Das hatte natürlich nicht bis morgen Früh Zeit.« Es war nur zum Teil eine Lüge. Er selbst hatte den Scheinwerfer demoliert, damit er einen Grund hätte, ein paar Stunden dort oben zu sitzen und Gespräche aufzuzeichnen. Seinem Führungsoffizier zufolge gärte es in der politischen Führung zurzeit gewaltig, und jedes Telefongespräch Weis musste aufgezeichnet werden. Seine Aufgabe war es, Vorwände zu finden, um das tun zu können.
Der Wachmann verdrehte die Augen. Wei Gaofans
übertriebene Ansprüche waren bestens bekannt. Der Wachmann trat zur Seite, und der Arbeiter ging auf die Straße hinaus und wandte sich vom Tiananmen Platz ab.
Er schlängelte sich zwischen den Touristen hindurch, die noch in der Verbotenen Stadt unterwegs waren. Schließlich betrat er einen altmodischen Teeladen und blieb gleich hinter der Tür stehen. Sein Führungsoffizier saß an einem Tisch in der Mitte des Lokals und las Zeitung.
Der Wartungstechniker kaufte eine Kanne minderwertigen Wu Yi und eine Packung englischer Kekse und ging damit an einen Tisch im hinteren Teil des Lokals. Als er an seinem Führungsoffizier vorbeikam, ließ er die Kekse fallen. Er bückte sich, hob sie auf, ging weiter und setzte sich.
Major Pan Aitu hatte es eilig. Trotzdem trank er erst seinen Tee aus und faltete die Zeitung zusammen, bevor er ging. Der Geheimdienstoffizier schlenderte zwei Straßen weiter zu seinem Auto. Nachdem er eingestiegen war, fischte er die winzige Kassette aus seinem Schuh und legte sie in ein Mini-Tonbandgerät ein. Als er sich das Telefonat anhörte, hielt er das Band an verschiedenen Stellen an und spulte es zurück, um noch einmal zu lauschen.
Dann ließ er sich stirnrunzelnd gegen die Kopfstütze zurücksinken. Was das alles bedeutete, war klar. Li Kuonyi und Yu Yongfu waren noch am Leben, und vor allem hatten sie auch das Ladeverzeichnis der Empress , dessentwegen Colonel Jon Smith nach China gekommen war.
Das Ehepaar war vermutlich bereits nach Dazu unterwegs, um alles für die Übergabe des Dokuments an Ralph McDermids Mittelsmann Feng Dun vorzubereiten. In Wirklichkeit würde Feng Dun das Dokument jedoch gewaltsam an sich bringen und das Ehepaar in Wei Gaofans Auftrag töten.
Ebenso stand fest, was Fengs Bericht an Wei Gaofan zu bedeuten hatte. Für die Eule wäre das von enormer Wichtigkeit. Wei Gaofan wusste nicht nur von der Empress und ihrer Ladung, sondern war sogar aktiv an der Sache beteiligt.
Die Entwicklung hatte inzwischen einen Punkt erreicht, an dem er sich entscheiden musste, wie er sich zur bestmöglichen Wahrung seiner eigenen Interessen am besten verhalten sollte. Einerseits ließ Wei Gaofan bereits Feng Dun für sich arbeiten; außerdem hatte er eindeutig von Anfang an seine Finger bei der Empress-Affäre mit im Spiel gehabt und wäre sicherlich nicht begeistert über einen Agenten der Spionageabwehr, der zu viel wusste.
Andererseits
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