Der Altman-Code
spürte er den Druck im Abteil abfallen. Das Licht leuchtete auf, und er schob die Tür zurück. Als die tintige Luft an ihm sog, überkam ihn einen Moment die Unentschlossenheit. Dann fiel ihm etwas ein, was sein Vater vor langer Zeit einmal gesagt hatte: Sterben muss jeder, deshalb fährst du wesentlich besser, wenn du dein Leben jetzt lebst, statt dich hinterher zu fragen, was du alles versäumt hast.
Er sprang.
Washington, D.C.
In der amerikanischen Bundeshauptstadt war es fast Mittag, und der Präsident arbeitete an seinem Schreibtisch im Oval Office. Er hatte die verschiedenen Kriegsszenarien der Vereinigten Stabschefs erhalten und durchgesprochen. Sie reichten von einer bloßen Machtdemonstration der Volksrepublik gegenüber Taiwan über eine Großinvasion auf dem Inselstaat bis zum Undenkbaren – einem Atomschlag der Volksrepublik China gegen die Vereinigten Staaten.
Präsident Castilla ließ sich in seinen Schreibtischsessel zurücksinken und schloss die Augen. Er rieb sich unter der Brille die Lider, dann verschränkte er die Hände am Hinterkopf. Wieder dachte er über die Möglichkeit eines Krieges nach und wie es wäre, es mit einer Nation von 1,3 Milliarden Menschen aufzunehmen, zu-oder abzüglich der paar Millionen, die die Chinesen wahrscheinlich verloren oder nie gezählt hatten. Er dachte an den Einsatz von Nuklearwaffen, und ihn überkam ein Gefühl, als entglitte ihm die Kontrolle über die Situation. Es war eine Sache, sich mit kleinen, schlecht bewaffneten Nationen und Terroristen, hausgemacht oder importiert, anzulegen, die maximal vielleicht Tausende Menschen töten konnten. Aber ganz anders sah die Sache mit einem Land wie China aus, das schier unbegrenzte Massenvernichtungsmöglichkeiten hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass China einen Krieg mehr wollte als er, aber was für ein Unterschied war schon zwischen einem hitzköpfigen U-Bootkommananten, der eigenmächtig ein Torpedo abfeuerte, und einem unverbesserlichen Hardliner mit dem Finger am roten Knopf?
Dem in der Tür erscheinenden Kopf Jeremys war ein leises Klopfen orausgegangen. »Fred Klein, Sir.«
»Lassen Sie ihn rein, Jeremy.« Klein kam herein wie ein nervöser Freier, erwartungsvoll, aber auch unsicher. Beide Männer warteten, bis Jeremy gegangen war.
»Wie komme ich darauf, dass du gute und schlechte Nachrichten bringst?«, begrüßte der Präsident den Covert-One-Chef.
»Wahrscheinlich, weil es tatsächlich so ist.«
»Na schön, dann fang mit den guten an. Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir.« Klein legte sich in Gedanken bereits alles zurecht, als er sich in seinem Sessel nach vorn beugte. »Colonel Smith ist am Leben und wohlbehalten, und das Original des Ladeverzeichnisses, das uns Mondragon übergeben wollte, ist wieder aufgetaucht.« Der Präsident zuckte hoch. »Wir haben das Dokument? Bis wann kann man es hierher schaffen?«
»Das ist die schlechte Nachricht. Es befindet sich noch in China.« Er gab Smiths Bericht wieder, vom Zeitpunkt seiner Gefangennahme bis zu seiner Flucht und dem Anruf Li Kuonyis. »Er musste dem CIA-Team sagen, dass er für das Weiße Haus arbeitet, aber mehr nicht. Covert-One wurde mit keinem Wort erwähnt. Wieder ein einmaliger Spezialeinsatz.«
»Na schön«, brummte Castilla mürrisch und zog die Stirn in Falten. »Jetzt wissen wir, dass Ralph McDermid maßgeblich an der Sache beteiligt ist. Aber das ändert nichts an der Gefahr, die die Empress darstellt.«
»Nein.«
»Ohne das Manifest von Flying Dragon müssen wir uns auf einen Krieg einstellen. Li Kuonyi trifft sich morgen Früh in Dazu mit McDermids Leuten?«
»Nein, erst übermorgen.«
»Dann wird es ja noch knapper für uns, Fred.« Der Präsident sah auf die Uhr. »Brose meint, uns bleiben allerhöchstens noch achtundvierzig Stunden. Unser Militär ist bereits in Alarmbereitschaft versetzt. Was unternimmst du jetzt, um das Manifest zu beschaffen?«
»Colonel Smith befindet sich gerade auf dem Weg zurück nach China. Er kennt Li Kuonyi vom Sehen, und sie weiß, wer und was er ist. Möglicherweise lässt sie sich auf einen Handel mit ihm ein, wenn wir ihr in den Staaten Asyl gewähren.«
»Er ist schon unterwegs? Hast du nicht eben gesagt, das Treffen in China findet erst in zwei Tagen statt?«
»Es ist noch etwas passiert. Deshalb habe ich ihn einen Tag früher losgeschickt.« Der Präsident explodierte fast. » Noch etwas! Was ist so wichtig, dass die Beschaffung des Dokuments nicht mehr oberste Priorität
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