Der Altman-Code
tiefer. »Dann muss wirklich alles klappen. Das ist eine der wichtigsten Maßnahmen in der Amtszeit meines Sohnes.«
»Ganz meiner Meinung«, sagte Smith. »Hier stehen globale Ziele auf dem Spiel.« David Thayer nahm seine Brille ab und kniff sich in die Nase, eine Geste, die Smith auch schon am Präsidenten beobachtet hatte. Dann sank er, scheinbar erschöpft, in seinen Sitz zurück. Mit dem Anflug eines Lächelns auf den Lippen schaute er aus dem Fenster.
Smith, der auf dem Vordersitz saß, drehte sich wieder nach vorn. Als er zu Mahmout hinübersah, warf ihm der einen erleichterten Blick zu. Dann machten sich beide Männer wieder daran, nach möglichen Gefahrenquellen Ausschau zu halten. Sie fuhren an Bauernhäusern vorbei, vor denen Reiskörner auf den Boden gestreut waren, damit sie, wie zuvor die Chilischoten, in der Sonne des kommenden Tages trockneten. Überall konnte man ungeschälten Reis sehen; zum Teil hatte man ihn sogar wie braune Schneeverwehungen an Mauern und Zäunen aufgehäuft. Auch handgemachte Arbeitsgeräte aus Holz lehnten an den Mauern. Es gab kleine Hühner-und Schweinegehege und Gemüsegärten. An den Enden der Beete standen oft schwere hölzerne Kübel. Und natürlich fehlten die Wasserbüffel nicht, die mit hängenden Köpfen, die Schnauzen fast auf dem Boden, vor sich hin dösten.
Die Zeit kroch langsam. Viel zu langsam, sodass ihre Anspannung immer mehr stieg. Als sie durch ein Dorf fuhren, setzte sich Thayer plötzlich auf. Die Häuser wirkten properer. Sie waren mit blau-schwarzen Dachziegeln gedeckt und wiesen zwei oder mehr Schornsteine auf.
Auch die Straße war auf einmal mit großen Steinplatten befestigt, die Hunderte von Jahren alt zu sein schienen.
Thayer erzählte, er sei gelegentlich in dieses Dorf gebracht worden, um bei Verwaltungsaufgaben zu helfen.
»Sehen Sie die Stühle dort?« Thayer deutete aus dem Fenster. »Die Straße stellt eine Art erweitertes Wohnzimmer dar. Die Dorfbewohner sitzen im Freien, spielen Karten, trinken Tee und unterhalten sich. Auch hier streuen sie den Reis zum Trocknen auf die Straße, und die Radfahrer fahren einfach darüber, als wäre er gar nicht da. Für die Chinesen ist Reis etwas völlig Selbstverständliches. Er ist wie der Mond und die Sterne. Nichts kann ihn zerstören.« Smith drehte sich nach dem Vater des Präsidenten um.
Sein eingefallenes Gesicht wirkte immer noch müde, aber selbst auf dem dunklen Rücksitz war deutlich zu erkennen, dass er glücklich war. Und anscheinend war ihm nach Reden zumute. Ein gutes Zeichen.
»Wie fühlen Sie sich?«, erkundigte sich Smith.
»Seltsam. Eigenartig. Meine Gefühle sind sehr wechselhaft. Sie gleichen Kobolden, unmöglich unter Kontrolle zu bekommen. Einen Moment ist mir zum Lachen zumute, den nächsten zum Heulen. Ich fürchte, ich habe ein Alter erreicht, in dem ich sehr schnell zu weinen anfange.« Smith nickte. »Das ist ganz normal. Wie fühlen Sie sich körperlich?«
»Ach so, das meinen Sie. Eine Weile war ich ein wenig müde, aber jetzt fühle ich mich großartig.«
»Wurden Sie mal gefoltert?« Thayer runzelte die Stirn, nahm die Brille ab und kniff sich ohne etwas zu erwidern in die Nase. Wieder diese Geste, die Smith auch beim Präsidenten beobachtet hatte. Aber als Thayer sie machte, fielen Smith wieder die zwei gebrochenen Finger auf. Er vermutete, es gab noch andere gebrochene Knochen, die jedoch unter der Kleidung des alten Häftlings nicht zu sehen waren. Rippen.
Ein Arm. Vielleicht ein Bein. Aber ohne eine gründliche Untersuchung ließ sich das nicht sagen. Falls sie durchkamen, müsste er als Erstes dafür sorgen, dass Thayer einer gründlichen ärztlichen Untersuchung unterzogen wurde.
Smith wandte seine Aufmerksamkeit wieder der dunklen Landschaft zu.
Auch Thayer schaute aus dem Fenster. Trotz der Gefahren und der Anspannung im Auto genoss er die Fahrt sichtlich. »Die Chinesen sind ein faszinierendes Volk. Sie greifen ständig auf ihre alten Mythen zurück und schaffen gleichzeitig neue. Als einmal einer der von den Kommunisten gebauten Aquädukte hier in den Bergen massiv leckte, machten sie den Bauern aus der Gegend weis, es wäre ein Wasserfall, eine neue Sehenswürdigkeit. Auf diese Weise brachten sie sie dazu, weiter ihr Land zu bewirtschaften, obwohl das nicht ungefährlich war.«
»Die chinesische Kultur verflicht Natur und Mythos«, pflichtete ihm Mahmout bei. »Und? Ist etwas passiert?«
»Nein«, antwortete Thayer. »Der Aquädukt wurde rechtzeitig
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