Der Altman-Code
Politikers, der sich in der Hand des ungeheuer mächtigen Wei Gaofan befand.
»Du hast einen nicht wieder gutmachbaren Fehler begangen«, erklärte Li mit emotionsloser Stimme. Sein breites, fettumhülltes Gesicht war so reglos wie das einer lauernden Schlange. »Der Diebstahl des richtigen Laderverzeichnisses der Dowager Empress bringt uns alle ernsthaft in Gefahr. Uns alle !« Yu hatte das Gefühl, vor Angst zu zerfließen. »Ein Fehler, der ungeschehen gemacht wurde. Es ist kein Schaden entstanden. Das Dokument ist oben in meinem Safe eingeschlossen. Es gibt keinen …«
»Die Amerikaner wissen, was die Empress geladen hat.
Deswegen schnüffelt jetzt ein amerikanischer Spion in Shanghai herum. Man kann ihn nicht beseitigen, ohne dass viele Fragen gestellt werden. Du hast mich in Gefahr gebracht, und – schlimmer noch – du hast Wei Gaofan in Gefahr gebracht. Was geheim war, ist nicht mehr geheim, und was nicht mehr geheim ist, kann Wei Gaofans Feinden im Zentralkomitee, im Politbüro und sogar im Ständigen Ausschuss zu Ohren kommen.«
»Feng wird diesen Amerikaner eliminieren!«
»Was dem Politbüro zu Ohren kommt, wird überprüft werden. Du wirst überprüft werden.« Verzweifelt versuchte sich Yu Yongfu zu rechtfertigen.
»Sie werden nichts erfahren …«
»Sie werden alles erfahren. Du hast nicht das Zeug dazu, einem scharfen Verhör standzuhalten, Schwiegersohn.« Lis Ton wurde weicher. »Es ist traurig, aber es ist wahr. Du wirst alles verraten, und wenn du überlebst, wirst du ruiniert sein. Und das bedeutet unser aller Ruin.
Der Ruin aller Yus. Und aller Lis.« »Nein!« Yu Yongfu schauderte. Sein Magen hatte sich zu einer Faust zusammengekrampft. Er konnte kaum mehr atmen. »Ich werde mich absetzen. Ja, ich verlasse …« Mit einer kurzen Handbewegung brachte Li ihn zum Schweigen. »Es ist bereits alles entschieden.«
»Aber …«
»Die einzige Frage ist jetzt, wie es gemacht wird. Das bleibt dir überlassen. Wird es Gefängnis, Entehrung und Ruin für unsere Familie sein? Viele Fragen, die gestellt und beantwortet werden. Und der Verlust von Wei Gaofans Gunst, und zwar für uns alle! Ohne den großen Wei komme auch ich zu Fall. Deine Frau – meine Tochter – wird mit mir stürzen, und meine anderen Kinder und ihre Familien werden keine Zukunft mehr haben. Und was für dich ganz entscheidend ist: Auch deine Kinder werden keine Zukunft haben.« Yu zitterte. »Aber …«
»Aber du hast Recht, zu nichts von all dem braucht es zu kommen. Der ehrenhafte Weg wird uns alle retten.
Die Verantwortung wird mit dir enden. Wenn du nicht mehr da bist, um zu reden, und wenn keine Fragen über die Hintergründe deines Todes aufgeworfen werden, kann nichts auf Wei Gaofan oder mich hindeuten. Meine Stellung wird nicht tangiert, weil wir weiterhin in Weis Gunst stehen können. Der Zukunft deiner Frau und deiner Kinder wird nichts im Weg stehen.« Yu Yongfu öffnete den Mund, um zu antworten, aber er brachte keinen Ton heraus. Die Angst lähmte ihn, als er seinen Selbstmord vor sich sah.
Im Westen des Zentrums Shanghais, außerhalb des Autobahnrings, stellte Andy den Motor ab und ließ den Jetta auf einer von Bäumen gesäumten Vorortsstraße ausrollen.
Es gab keine Straßenlaternen. In den meisten Häusern brannte so spät kein Licht mehr. Nichts bewegte sich im stahlblauen Mondschein.
Smith, der auf dem Beifahrersitz saß, sah auf die Uhr.
Neun Uhr vorbei. Bevor er mit Andy zuammengetroffen war, hatte er für Dr. Liang auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen; er fühle sich nicht wohl und könne deshalb ihm und seinen Kollegen beim Abendessen nicht Gesellschaft leisten. Er hoffte, das würde seine Aktivitäten an diesem Abend verschleiern.
Inzwischen musste er sich über etwas viel Entscheidenderes Gedanken machen. Er lauschte aufmerksam, aber er hörte nichts als das leise Rauschen des Verkehrs auf der Ringstraße. Irgendetwas war eigenartig. Er studierte die teuren Häuser entlang der Straße, während er überlegte, was es war … und musste über sich selbst lachen, als es ihm endlich dämmerte. Er hatte so lang im Westen gelebt, dass er begonnen hatte, bestimmte regionale Besonderheiten als selbstverständlich zu betrachten. Die Lösung war, am Straßenrand standen keine Autos.
»Dort drüben.« Andy deutete über die Straße. »Das ist Yu Yongfus Villa.« Smith sah keine Hausnummern. »Woher wissen Sie das?« Andy grinste. »In Shanghai weiß man so was einfach.« Smith brummte. Entlang
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