Der Altman-Code
Himmel. Eben war er noch …«
»Ist er bewusstlos?«
»Ja. Wir machen uns große Sorgen.« Vorbei an den Büros Dutzender Angestellter, die sich in bedrücktem Schweigen auf den Heimweg machten, führte sie den Arzt im Laufschritt in das große, stille Arbeitszimmer des Patienten, Firmenchef Nasser Faidhi.
Der Blick auf die Stadt und die Wüste hinter Euphrat und Tigris war beeindruckend. Dr. Kamil nahm ihn flüchtig wahr, bevor er zu Faidhi eilte, der bewusstlos auf einem Ledersofa lag. Er prüfte seine Körperfunktionen.
Nadia flüsterte aufgeregt: »Wird er sterben?« Dr. Kamil hatte keine Ahnung, wie die Französin den Anfall ausgelöst hatte, aber er wusste, dass sie dahintersteckte, denn sie hatte ihm gesagt, er bekäme den Anruf Punkt 16 Uhr 45, und so war es dann auch gewesen.
Allerdings bezweifelte er, dass sie Faidhi umzubringen beabsichtigte, denn sein Tod hätte polizeiliche Ermittlungen nach sich gezogen. Die gute Nachricht war, dass Faidhis Herzschlag kräftig, sein Puls regelmäßig und seine Gesichtsfarbe frisch war. Er war lediglich bewusstlos.
Irgendein schnell wirkendes, aber grundsätzlich harmloses Mittel, vermutete Dr. Kamil.
Er beruhigte die Sekretärin. »Auf keinen Fall. Aber ich muss ihn trotzdem gründlich untersuchen.« Er sah sie vielsagend an. »Dafür muss ich ihn ausziehen. Verstehen Sie?«
Nadia errötete. »Natürlich, Herr Doktor.«
»Danke. Und sorgen Sie dafür, dass wir nicht gestört werden.«
»Niemand wird es wagen.« Sie verließ das Büro. Sie würde die Tür bewachen wie ein Feuer speiender Drache.
Sobald er mit dem bewusstlosen Geschäftsmann allein war, eilte Dr. Kamil zu den Aktenschränken. In einem davon fand er den Ordner, den ihm die Französin beschrieben hatte: Flying Dragon Enterprises aus Shanghai.
Er enthielt vier Dokumente. Zwei davon waren Schreiben der Firmenniederlassung in Basra. Sie drehten sich um den Stand der Verhandlungen mit einem gewissen Yu Yongfu, Präsident von Flying Dragon, betreffend eine Lieferung von landwirtschaftlichem Gerät, Chemikalien, Elektronikartikeln und verschiedenen anderen Gütern, die auf einem Schiff namens The Dowager Empress in den Irak befördert werden sollten. Die anderen beiden Dokumente waren Faidhis Antwortschreiben mit Anweisungen an die Niederlassung in Basra, wie das Geschäft abgewickelt werden sollte. Sonst war nichts in dem Ordner.
Dr. Kamils Herz begann vor Erleichterung schneller zu schlagen. Der Lieferschein, den die Französin wollte, existierte entweder nicht, oder er befand sich in der Niederlassung in Basra. Er steckte den Ordner in den Schub zurück, schloss diesen und widmete sich wieder seinem Patienten.
Zwanzig Minuten später gab Faidhi ein kehliges Husten von sich, gefolgt von einem tiefen Seufzer. Seine Lider flatterten. Dr. Kamil ging zur Tür, öffnete sie und lächelte die Sekretärin an, die auf dem Flur besorgt auf und ab schritt.
»Sie können jetzt hereinkommen, Nadia. Er kommt wieder zu sich und dürfte es überstanden haben.«
»Allah sei gepriesen!«
»Selbstverständlich«, fügte Kamil ernst hinzu, »muss ich ihn noch einmal gründlich untersuchen. Rufen Sie in meiner Praxis an und lassen Sie sich einen Termin für ihn geben.« Er lächelte wieder. Das brächte ihm ein stattliches Honorar und viel Dankbarkeit. Der Französin würde er sagen, wenn sie diesen Lieferschein wollte, müsste sie es in Basra versuchen, wohin er natürlich nicht fahren konnte, ohne Verdacht zu erregen. Alles war gut gegangen, genau wie er erwartet hatte. Shanghai In dem dunklen Wohnzimmer, inmitten wuchtiger Antiquitäten, die jedem Museum zur Ehre gereicht hätten, ruhte, ganz allein eine schöne Frau. Sie hatte sich auf einem braunen Eames-Sessel zusammengerollt. Klein und zierlich, trug sie das glänzende schwarze Haar in einem schlichten Pferdeschwanz. In einer Hand hielt sie einen halb vollen Cognacschwenker. Auf dem Chrom-und-Ebenholz-Tisch neben ihr stand eine entkorkte Flasche Remy Martin. Von einer luxuriösen Couch, fast halb so lang wie das riesige Wohnzimmer, schaute eine große Katze herüber.
Die Frau machte nicht den Eindruck, als sähe sie Smith, die Katze oder sonst irgendetwas. Sie starrte ins Leere, ein zerbrechliches Geschöpf, das in dieser Umgebung noch winziger wirkte.
Smith suchte den Raum nach Hinweisen darauf ab, dass die Frau nicht allein war. Er sah und hörte nichts. Im Haus war es gespenstisch still. Die Beretta immer noch mit beiden Händen haltend, betrat er
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