Der Altman-Code
fensterlosen Zimmer.
Das gefiel ihm nicht. Die Geheimpolizei hatte ein bisschen zu schnell, ein bisschen zu leicht aufgegeben. Warum? Entweder hatten sie Anweisung erhalten, seine Anwesenheit in China als brisante Angelegenheit mit potenziellen internationalen Verwerfungen zu betrachten, und das hätte bedeutet, dass sie zwar argwöhnisch waren, aber nicht sicher, ob er tatsächlich mehr war als nur ein gewöhnlicher Wissenschaftler auf Besuch in China. Oder sie lagen inzwischen außerhalb der longtangs auf der Lauer und hofften, dass er von allein wieder nach draußen käme. Oder … das Ganze war nur Theater gewesen, und sie hatten nie die Absicht gehabt, ihn festzunehmen, weil sie ihn bereits hatten – weil Asgar Mahmout und seine Uiguren in Wirklichkeit mit dem Ministerium für öffentliche Sicherheit unter einer Decke steckten. Das hätte zum Beispiel Mahmouts beiläufige Fragen nach dem Menschenrechtsabkommen erklärt.
Würden sie ihn, sollte tatsächlich Letzteres der Fall sein, in diesen hermetisch abgeriegelten Räumen festhalten, oder würden sie ihn an der langen Leine weiter gewähren lassen, um auf diese Weise herauszufinden, was er wirklich vorhatte? Nach längerem Nachdenken gelangte er schließlich zu der Überzeugung, dass es für sie das Klügste wäre, so zu tun, als wollten sie ihm helfen. Denn solange sie nicht beweisen konnten, was er vorhatte, würde sich seine Verhaftung zu einer internationalen Affäre ausweiten. Wenn es sich dabei um ein geschickt eingefädeltes Katz-und-Maus-Spiel handelte, bot es ihm allerdings auch eine Chance.
Freitag, 15. September
In seinem engen Büro in der Polizeidirektion in der Hankou Lu 210, nicht weit vom Bund, blickte Major Pan Aitu durch seine Hornbrille finster auf die Akte, die auf seinem Schreibtisch lag. Es war nichts Besonderes oder Ungewöhnliches an der Akte des Kleinganoven, gegen den er später an diesem Tag aussagen würde; es lag einfach daran, dass Pans Miene immer finster war, wenn er allein war. Die freundliche Stimme und das nette Lächeln waren nur Fassade, genauso wie die Harmlosigkeit signalisierenden Anzüge und die fröhlichen Fliegen. Das alles diente nur dem Zweck, die vor ihm sitzende Maus zu hypnotisieren. Auch seine rundliche Jovialität war nur aufgesetzt.
Da waren Muskeln unter dem Fett – harte, durchtrainierte Muskeln.
In seiner schwarzen Lederjacke, dem braunen Safarihemd und der schwarzen Jeans hatte er etwas von einem bedrohlichen Zwerg an sich, der aus den Tiefen der Erde emporgeholt worden war. Er war immer noch mit Aktenstudium beschäftigt, als ein einmaliges Klopfen das Erscheinen seines Vorgesetzten, General Chu Kuairong, ankündigte.
»Haben Sie den amerikanischen Wissenschaftler aufgespürt?«
»Und wieder aus den Augen verloren«, sagte der Geheimdienstoffizier verärgert. »Wir haben eindeutig versagt. Wir benötigen bessere Leute, General. Die Teams, die ich damit beauftragt hatte, beobachteten nur den Haupteingang seines Hotels. Weil er fremd ist in unserem Land und mit der Stadt nicht vertraut, haben sie ihn auf sträfliche Weise unterschätzt. Aber ganz offensichtlich hat er das Hotel auf einem anderen Weg verlassen und wieder betreten.«
»Heißt das, er ist doch nicht zum ersten Mal in Shanghai?«, fragte Chu Kuairong aufgebracht. »In seiner Akte, und in unseren Unterlagen, finden sich aber keine derartigen Hinweise.« Der Major schüttelte den Kopf. »Er muss Hilfe erhalten haben.«
»Hilfe? Von einem unserer Leute? Ausgeschlossen.«
»Eine andere Erklärung gibt es nicht«, konstatierte Pan nüchtern. »Jemand, den Sie umgedreht haben, höchstwahrscheinlich. Nachdem wir Anweisung erhalten hatten, ihn festzunehmen, haben sich diese Trottel unter meinen Mitarbeitern endlich doch noch auf ihren gesunden Menschenverstand besonnen und sämtliche Zugänge beobachtet. Trotzdem haben sie ihn nicht ins Hotel zurückkehren sehen. Aber zum Glück hatten sie im Hotel selbst einen als Hausmeister getarnten Mann postiert. Er hat Smith schließlich entdeckt.« Der General seufzte frustriert. Wie schon viele Male zuvor dachte er, dass sein Budget für die Rekrutierung und Ausbildung brauchbarer Agenten viel zu niedrig war.
Lauernd wie ein riesiger Raubvogel beugte er sich auf seinem Stuhl nach vorn. Sein kahler Schädel glänzte unter dem grellen Neonlicht, und seine kleinen, tief sitzenden Augen schienen sich in den Major zu bohren.
»Und dann haben sie Smith wieder aus den Augen verloren?«, knurrte er.
Major
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