Der Altmann ist tot: Frl. Krise und Frau Freitag ermitteln
muss. Dann fährt er wohl nicht nach Hause. Den Nachhauseweg mit der U-Bahn, den kennt man doch, jedenfalls hat er sich vorhin keinen Fahrschein gekauft, also nehme ich an, dass er eine Monatskarte hat und so, wie der sich in der U-Bahn bewegt und wie sicher der beim Umsteigen war – der Typ ist ein regelmäßiger U-Bahn-Fahrer. Allerdings einer, der gerade nicht seine «Hausstrecke» fährt. Eisenacher Straße. Wo will der hin? Hoffentlich fährt der nicht bis Rudow, da kenne ich mich überhaupt nicht aus. Kleistpark. Yorckstraße. Ich darf ihn nicht so anstarren, sonst bemerkt er mich noch. Leider habe ich meine Sonnenbrille nicht mit. Wäre vielleicht aber auch zu auffällig, in der U-Bahn. Möckernbrücke. Mehringdamm. Ich wette, der will zum Hermannplatz. Aber warum? Und warum fährt er erst mit dem Auto von der Bülowstraße bis nach Moabit, um dann von der Turmstraße wieder zurück nach Kreuzberg zu fahren. Das kann ja nur einen Grund haben.
Mein Handy klingelt in der Hosentasche. Ich drehe mich zur Seite und flüstere: «Südstern. Ja, immer noch.» Auch Frl. Krise wundert sich, dass er zweimal durch die ganze Stadt fährt. «Du, Frl. Krise, ich sag dir, da ist irgendwas faul. Oh, er steht auf. Hab ich mir doch gedacht – Hermannplatz! Können wir uns nachher noch treffen? Okay, dann bis morgen Nachmittag bei Onkel Ali. Okay. Ich muss jetzt Schluss machen. Bis dann.»
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Am liebsten würde ich gleich wieder gehen. Vielleicht doch lieber zum Hautarzt als hier … aber Cindy reißt mir schon den Regenmantel vom Leib.
«Heute ist es so weit, Frl. Krise!», sagt sie verschwörerisch. «Heute werden sie ES los!» Ich nicke ängstlich.
Cindy Lehmann ist die Kosmetikerin meines Vertrauens. Cindy kann alles und macht alles. Mit Leidenschaft und Umsicht reinigt, pflegt, wachst, ölt, schneidet, feilt, schleift, grundiert, lackiert und klebt sie an ihrer Kundschaft herum. Ihr kleines Institut ist vielleicht nicht das stylischste von Berlin, aber auf jeden Fall das sterilste. In diesen Räumen könnte man, ohne mit der Wimper zu zucken, eine Operation am offenen Herzen durchführen.
Neuerdings entfernt Cindy sogar Tattoos. Aber warum habe ich ihr eigentlich, als sie mir gerade liebevoll die Fußnägel lackierte – ein Sonderangebot –, erzählt, dass ich auch über so eine Jugendsünde verfüge? Ein Schriftzeichen, auf der linken Schulter. Inzwischen kann man es kaum noch sehen, aber ich traue mich nicht, ein schulterfreies Kleid zu tragen.
«Ich mach Ihnen das weg, Frl. Krise», hatte mir Cindy versichert. «Das lässt sich ganz leicht mit dem Laser entfernen! Quasi schmerzlos!»
Cindy bugsiert mich in eine der beiden kleinen Behandlungsräume. «Legen Sie sich schon mal hin, Frl. Krise, und entspannen Sie sich, ich bin gleich bei Ihnen.» Sie lächelt beruhigend, tätschelt mir den Oberarm und verschwindet durch die Verbindungstür in das Nachbarzimmer. Dabei zieht sie zwar die Tür hinter sich zu, aber nicht fest genug, sodass das Schloss gleich wieder aufspringt. Ein Türspalt bleibt offen. Cindy und die Kundin, die dort wartet, scheinen das nicht zu bemerken. Ich höre zwar, dass sie sprechen, verstehe aber nichts. Ich habe auch Besseres zu tun, als ihnen zuzuhören, ich muss mich jetzt darauf konzentrieren, mich zu entspannen, wie Cindy mir geraten hat. Wenn man relaxt ist, tut es bestimmt weniger weh – das ist wie beim Zahnarzt. Also: Augen zu, Bauchatmung und an was Schönes denken. Wenn das nur so einfach ginge. Mir ist ziemlich mulmig zumute – lasern, verbrennt das nicht die Haut? Und das soll schmerzfrei sein?
Nebenan lacht Cindy gerade laut auf, und ihre Kundin ruft: «Wenn mein Verlobter wüsste, wer mir damals das Stechen bezahlt hat! Sie können sich ja überhaupt nicht vorstellen, was dann los wäre!»
Stechen? Da scheint es offensichtlich auch um ein Tattoo zu gehen. Ist ja spannend. Unwillkürlich halte ich kurz die Luft an und lausche. Die beiden sprechen wieder leiser. «Rose» verstehe ich und «lasern». Ich richte mich auf. Macht Cindy der Kundin nebenan ein Tattoo weg? Oder hat sie es schon entfernt? Da kann ich ja gleich mal mitbekommen, ob das wehtut. Ich steige leise von der Liege, schleiche zwei Schritte in Richtung Türe und lausche.
So was macht man nicht, und ich schäme mich auch ein bisschen, aber die Neugier siegt. Noch etwas näher ran mit dem linken Ohr. Mit dem höre ich besser als mit dem rechten.
Jetzt kann ich alles gut verstehen.
«Ist super verheilt,
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