Der Altmann ist tot: Frl. Krise und Frau Freitag ermitteln
immer eine Ausrede, wenn sie keine Lust hat, sich mit mir zu treffen.
«Ja, ich hab auch genug von der Szene hier. Ich glaub, ich geh gleich noch zum Sport, kannste mich bei mir zu Hause vorbeifahren?»
«Kann ich!», antwortet Frl. Krise und biegt in die Gneisenaustraße ein.
«Ist das die Franziska Altmann da vor uns?», fragt sie plötzlich.
«Die in dem grünen Auto?»
«Ja, in dem Clio. Ja, das ist sie. Günthers Witwe.»
«Frl. Krise, ich kenne mich ja nicht so aus, aber gibt es nach Beerdigungen nicht immer noch so einen Leichenschmaus im engsten Familienkreis?»
«Leichenschmaus, tzzz. Ja, so was macht man dann. Oft gehen die Leute zusammen in ein Restaurant.»
«Aber warum ist die Witwe nicht dabei?», frage ich und zeige auf den grünen Clio, der immer noch vor uns fährt.
«Wahrscheinlich fährt die Franzi jetzt dahin.»
«Aber warum ist sie dann alleine im Auto? Diese drei alten Frauen, die vorhin offensichtlich zur U-Bahn gewackelt sind, die hätte sie doch locker mitnehmen können. Das waren doch wohl irgendwelche Tanten von dem Altmann. Also ihre Schwiegertanten sozusagen, und …»
«Vielleicht muss sie zum Arzt oder, ach, was weiß ich denn?» Frl. Krise wird ein wenig ungehalten, weil sie sich auf den Verkehr konzentrieren muss. Franziska Altmann ist immer noch vor uns.
«Die Franziska tut mir jedenfalls unheimlich leid. Stell du dir doch mal vor, dein Freund stirbt oder Männe … ich wüsste gar nicht …»
«Frl. Krise, guck mal, der Typ, der da an der Ampel steht. Der winkt uns zu.» Ein gutaussehender Mann. Ein sehr gut aussehender Mann. Steht da und winkt uns … aber nein, halt, der meint uns gar nicht. Jetzt rennt er zum Auto von Franziska Altmann und … und steigt ein. Und was macht er? Die küssen sich!!!! Oh, die Ampel! Grün.
Frl. Krise und ich gucken uns verwundert an.
«Hinterher, oder?»
«Na logo! Häng dich dran!»
Wir folgen dem grünen Clio in die Goebenstraße und biegen dann in die Potsdamer Straße ein. Frl. Krise schweigt. Ich versuche meine Gedanken zu sortieren. Wer ist dieser Mann? Und wie gut der aussieht! Groß und braun gebrannt. Und die Haare …
An der Ampel vorm Schöneberger Ufer guckt sie mich plötzlich an: «Vielleicht ist das ihr Bruder.» Sie wartet kurz und kichert dann los. Auch ich muss lachen: «Klar, das ist ihr BRUDER ! Du begrüßt DEINEN Bruder wohl auch immer mit SO einem Kuss, oder was? Los, ist Grün! Fahr! Nicht, dass wir sie verlieren!»
«Immer mit der Ruhe, ich kann ja nicht so dicht auffahren, sonst sehen sie uns doch. Wo die wohl hinwollen?»
«Vielleicht ist das schon ihr neuer Freund. Und sie bringt den jetzt mit zu dem Leichenessen.»
«Hm, garantiert. Ein echter Witwentröster sozusagen.»
«Und was für einer. Der Typ sieht ja Hammer aus, wie meine Schülerinnen sagen würden. Was will die mit dem Altmann, wenn man so einen kriegen kann? Achtung, sie blinkt. Die wollen abbiegen!»
«Ich bin doch nicht blind, Frau Freitag! Jetzt fahren sie in den Tiergartentunnel. Wo soll es denn hingehen, die Herrschaften?»
«Vielleicht verlassen die Berlin? Ist dein Tank voll? Nicht, dass wir die verlieren, nur weil uns das Benzin ausgeht.»
«Keine Angst, hab gestern erst getankt. Als hätte ich es geahnt. Mann, wie lang ist denn dieser Tunnel?»
«Ich fahr nicht gerne durch Tunnel. Du? Ich muss immer an das Auto von Lady Di denken. Das war so zerknautscht. Guck, die wollen nach links. Richtung Moabit. Fahr! Pass auf, die Ampel wird gleich gelb!»
«Seh ich doch selber!!! Aber ich darf hier nicht schneller fahren! Sonst bin ich meinen Lappen los.»
Franziska Altmann biegt noch einmal rechts ab. Alt-Moabit. «Hier kommt gleich das Gefängnis. Frl. Krise, vielleicht hat der Hafturlaub, und sie bringt ihn jetzt zurück.»
«Hafturlaub?»
«Ja, vielleicht ist der Typ da neben ihr ein Sträfling, und sie hat dem jahrelang geschrieben, und jetzt haben sie sich getroffen und verliebt und …»
«Was spinnst du dir da wieder zurecht, Frau Freitag. Sträfling … guck, die haben nicht mal angehalten. Nix mit Hafturlaub.»
«Aber wer ist das denn? Was meinst du?»
«Ich hab nicht den geringsten Schimmer», sagt Frl. Krise, «und mich würde gerade viel mehr interessieren, wo die hinwollen. Oh, guck, jetzt fährt sie langsamer.»
«Ja, pass auf, dass sie uns nicht sieht. Ich glaube, die will anhalten.»
Der grüne Clio steht jetzt in zweiter Reihe in der Turmstraße vor der Ruine von Karstadt. Frl. Krise fährt in
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