Der Amerikaner - The American
zu den Taliban übergelaufener Landsmann, der reinste Pfadfinder.« Harper tippte nachdenklich mit einem Stift auf die polierte Platte seines Schreibtischs. »Kharmai ist etwas vorschnell mit ihren Schlussfolgerungen. Vom Iran zu Al Kaida ist es ein ziemlicher Gedankensprung, und bisher weiß sie nichts über March und seine Beteiligung an dem Anschlag. Falls er beteiligt war.«
»Meiner Ansicht nach liegt sie richtig«, sagte Kealey. »Eine solche Geschichte ist definitiv Anlass zur Sorge. Sie haben selbst gesagt, dass Al Kaida den Namen des Senators kannte, und Levy war zufällig der unverblümteste Kritiker der iranischen Hardliner. Falls Al Kaida direkt von dem neuen Regime unterstützt
wird, haben sie Zugang zu Geld und Waffen, um ihre Aktionen fortzuführen.«
Harper beendete Kealeys Gedanken. »Was dann in der Tat hei ßen würde, dass wir ein ernsthaftes Problem haben. Mein Gefühl sagt mir, dass March uns im Augenblick eine Menge zu erzählen hätte.« Er schaute Kealey direkt in die Augen. »Wo ist er?«
»Mit Sicherheit außerhalb der Landesgrenzen«, antwortete Kealey schnell und bestimmt. »Er muss Fluchtvorbereitungen getroffen haben, denn er wusste, dass er im Fall einer Identifizierung auf Flughäfen, Bahnhöfen oder in Häfen geschnappt worden wäre. Andererseits hätte ein Mann wie er sowieso nicht auf diese Möglichkeiten zurückgegriffen. Es hört sich doch alles völlig unrealistisch an, oder? Die Ermordung eines bestens bewachten Politikers in Washington mitten am Tag. So etwas ist hochgradig riskant, aber es gibt dort jede Menge U-Bahn-Stationen, eine davon direkt hinter dem Smithsonian-Museum. Allein von der Union Station aus kann man die Stadt auf mindestens acht Routen verlassen. Trotz des schlechten Wetters hat er mit vielen Touristen in der Nähe der Mall gerechnet und sich direkt außerhalb des Sicherheitsgürtels um das Weiße Haus postiert. Wahrscheinlich hat er ausgekundschaftet, an welchen Stellen regelmäßig Scharfschützenteams postiert sind. Vielleicht hat ihm jemand ihre Stellungen verraten, aber das ist schwer zu sagen … Kurzum, er hat alles richtig gemacht. Mit Fehlern können wir bei ihm nicht rechnen.«
5
Iran
Die junge Frau lehnte an einem ziemlich neuen Range Rover und zitterte leicht in der kühlen Nachtluft, während sie das kleine Flugzeug zwischen ein paar Wolken näher kommen sah. Sie trug einen langen schwarzen Tschador, die bei iranischen Frauen übliche Tracht, hatte aber ihre Kopfbedeckung zurückgeschoben, sodass langes schwarzes Haar zu sehen war, das ein ovales Gesicht einrahmte. Sie glaubte, diese kleine Verletzung der strikten Kleiderordnung ihres Landes war angesichts der Einsamkeit des Ortes zu entschuldigen. Der behelfsmäßige Flugplatz lag fast fünf Kilometer südlich des dauerhaft Wasser führenden Flusses Atrak, der durch die verwaisten Küstenebenen am Kaspischen Meer fließt. Dieser Teil des Iran war praktisch menschenleer und daher ideal geeignet für die letzte Landung der alten Cessna, die Aserbaidschan vor drei Stunden unter Angabe einer falschen Flugroute verlassen hatte.
Als das Flugzeug aufgesetzt hatte und zum Stehen gekommen war, öffnete sich die Tür, in der ein einzelner Passagier mit einer Tasche in der rechten Hand erschien. Die Frau beobachtete, wie er aus der Cessna stieg und energischen Schrittes durch den Wüstensand auf sie zukam. Seinem jugendlichen Aussehen nach schien er Ende zwanzig zu sein, höchstens Anfang dreißig.
»Hallo«, sagte sie. Dann, in schnellem Farsi: »Ich heiße Negin und werde Sie für den Rest des Weges begleiten. Man hat mir
aufgetragen, Sie nach Waffen zu fragen. Nach der Ankunft wird man Sie durchsuchen.«
»Ich bin unbewaffnet«, antwortete der Mann. »Wie weit ist es noch?« Obwohl man Negin zu verstehen gegeben hatte, der Gast beherrsche Farsi, empfand sie ein etwas unbehagliches Gefühl angesichts der Tatsache, dass ein Ausländer ihre Muttersprache so gut konnte.
»Es wird keine zwei Stunden dauern. Sie werden erwartet.«
Eine Viertelstunde später bog der Wagen aus der dunklen Wüste auf die nach Meschhed führende Hauptstraße ein, deren Asphaltdecke rissig war, und sie fuhren schnell östlich in Richtung der heiligen Stadt, während über ihnen am Himmel die Sterne funkelten.
Meschhed ist die Hauptstadt der iranischen Provinz Khorasan und hat fast zwei Millionen Einwohner. March glaubte, seine Gastgeber hätten sich schwerlich einen besseren Ort für das Treffen aussuchen können,
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