Der Amerikaner - The American
das falsche Schuhwerk ausgesucht, Miss Kharmai.« Er öffnete die Fliegentür der Veranda und hielt sie ihr höflich auf.
»Warum nehmen Sie nicht Platz? Ich bin in ein paar Minuten zurück. Darf ich Ihnen etwas anbieten?«
»Nein, vielen Dank.« Hale verschwand mit ihrem Ausweis im Haus. Nach den dichten Wolken in Washington war der hier beim Sonnenuntergang in allen Rottönen schillernde Himmel ein Erlebnis. Hinter den Wiesen sah sie vor dem Hintergrund alter Bäume ein paar niedrige, mit Schindeln gedeckte Häuser.
Sie zuckte zusammen, als sich hinter ihr quietschend die Tür öffnete. Hale kam mit einer Flasche Bier in der Hand zurück, reichte Kharmai ihren Ausweis und nahm ihr gegenüber auf einem schmiedeeisernen Stuhl Platz.
»Alles in Ordnung, junge Dame. Trotzdem bin ich ein bisschen verdutzt. Es sieht so aus, als könnten Sie diese Informationen auch von John bekommen.«
»Sie kennen Harper, unseren stellvertretenden Direktor?«
»Aber natürlich«, antwortete Hale mit einem breiten Grinsen. »Er hat uns für einige unserer Operationen anständige Leute geschickt, im Kosovo und vorher im Irak. Immer gut, ihn auf seiner Seite zu wissen.«
Sie nickte respektvoll und zeigte auf die Gebäude in der Ferne. »Gehören diese Häuser noch zu Ihrem Grundstück?«
Der General nickte. »Früher haben da die Sklaven gewohnt. Von hier aus sehen Sie nur einen kleinen Teil des Landes, das zum Haus gehört. Es gibt noch über hundert Morgen hinter diesen Bäumen, meistens Wiesen. Früher wurden hier Mais, Baumwolle und Tabak angepflanzt, alles, was Profit versprach. Die Plantage wurde 1857 von einem Colonel der Konföderierten angelegt, der in Shiloh starb. Sie war für über hundert Jahre im Besitz der Familie meiner Frau, die vor drei Jahren gestorben ist.«
»Das tut mir Leid«, sagte Kharmai so teilnahmsvoll wie möglich.
Hale nickte traurig. »Ich vermisse sie sehr. Ganz schön groß hier für eine Person.«
Kharmai wollte aus Höflichkeit mit ihrer Frage warten, aber der General wechselte selbst das Thema.
»Also, nach was für Informationen suchen Sie? Geht es um Kealey?«
Wieder war Kharmai überrascht. »Woher wissen Sie das?«
»Nur eine Vermutung. Ich denke, dass Sie seine Personalakte gesehen haben. Da sollte eigentlich alles drinstehen, was Sie wissen müssen.«
»Leider nicht. Warum hat er die Army verlassen? Ich meine, er ist immerhin in acht Jahren Major geworden. Ist das nicht gut, selbst für jemanden von den Green Berets?«
Hale lachte und trank einen großen Schluck Bier. »Zuerst muss ich Sie darauf hinweisen, dass sie es nicht mögen, wenn man sie Green Berets nennt. Damit ist nur bezeichnet, was sie auf dem Kopf tragen, nicht, was sie sind. Aber zurück zu Ihrer Frage. Ja, diese Bilanz ist gut. Ryan Kealey hat es zu etwas gebracht.« Der General ließ den Blick über die Weiden schweifen, und der liebenswürdige Gesichtsausdruck verschwand. Er senkte die Stimme, als würde er etwas Vertrauliches mitteilen. »Eine verdammte Schande, was mit ihm passiert ist. Stand in seiner Personalakte etwas über Bosnien?«
»Nein. Bitte erzählen Sie es mir.« Dass ihre Stimme so flehend klang, passte Kharmai nicht, aber sie wusste, dass ihr außer Hale wahrscheinlich niemand ihre Fragen beantworten konnte.
»Um die Geschichte zu verstehen«, entgegnete Hale, »müssen Sie in etwa wissen, wie die Lage damals aussah. Die Serben ermordeten wahllos Muslime, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht. Aber es ging nicht nur um Mord, sondern auch um Folter, Verstümmelung und Massenvergewaltigungen. Es war Völkermord in großem Maßstab. Man schätzt, dass allein 1995 siebentausend Muslime abgeschlachtet wurden, und das ist eine
vorsichtige Schätzung. Das ganze Ausmaß dessen, was dort geschah, ist in den internationalen Medien nie wirklich adäquat dargestellt worden, aber etwas so Schlimmes war seit dem Holocaust in Europa nicht mehr passiert. Sie können sich also vorstellen, dass es eine sehr gefährliche Zeit war für amerikanische Soldaten, die als Teil der NATO-Friedenstruppe dort stationiert waren.«
Kharmai nickte bedächtig, den Blick auf die dunklen Gebäude in der Ferne richtend. »Reden Sie bitte weiter.«
»Kealey, zu jener Zeit im Rang eines First Lieutenant, wenn ich mich nicht irre, war nur als eine Art Berater vor Ort, dem Kommando von General Wilkes unterstellt und mit dem NATO-Kontingent im Camp Butmir in Sarajevo stationiert. Gelegentlich war er mit den SFOR-Patrouillen
Weitere Kostenlose Bücher