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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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aufgeschlagen unter Schreibblöcken und zwei Laptops. Die Stellwand war hervorgeholt worden, Filzstifte lagen bereit. Seans Mutter Eileen und seine vier Schwestern räumten mit grimmiger Effizienz Teller ab und füllten Kaffeetassen nach.
    Frank, Seans Vater, sprach am Telefon mit einem Reporter. »Ja, wir haben vor, bis zum letzten Atemzug dagegen zu kämpfen. Was? Nein, Sir, das hat nichts mit Islamophobie zu tun. Phobie heißt Angst, und ich habe keine Angst. Nicht vor denen. Sie können meine Adresse gern in Ihrer Zeitung drucken, damit die es leichter haben, mich zu finden.« Eine Pause. »Sie haben meinen Sohn umgebracht. Ist das Grund genug für Sie? Und ich will nicht, dass einer ihrer Namen über seinem Grab steht.« Eine weitere Pause. »Ja, wir haben ihn gefunden. Ja, wir haben ihn auf dem Friedhof beigesetzt. Mann, das ist doch Haarspalterei. Es ist der Ort, an dem er gestorben ist, okay? Es soll eine Gedenkstätte für ihn sein, nicht für die. Sonst noch was? Ich habe noch eine Menge anderer Anrufe zu erledigen …«
    Eine Stimme von unten: »Hast du irgendwas Neues gehört, Sean?« Mike Crandall lag flach auf dem Boden, weil sein Rücken ihm wieder zu schaffen machte. Der ehemalige Feuerwehrmann verpasste nie ein Treffen, obwohl Sean es sich manchmal wünschte. Sein Komitee, ein bunt zusammengewürfelter Haufen, setzte sich hauptsächlich aus ehemaligen Feuerwehrleuten und den Vätern toter Feuerwehrleute zusammen.
    »Nein, nichts«, sagte Sean. Er gab das nur ungern zu, schließlich galt er als derjenige mit dem direkten Draht zum Büro von Gouverneurin Bitman und zu Claire Burwell. Dass diese Leitungen nun tot waren, überzeugte ihn, der von Natur aus jeglicher Macht gegenüber misstrauisch war, dass die Story stimmte. Zu seiner Beschämung war er erleichtert darüber. Dass ein Muslim die Gedenkstätte bauen sollte, war das Schlimmste, was passieren konnte – und genau der Ansatzpunkt, den Sean, dem in letzter Zeit einer gefehlt hatte, brauchte. Katastrophen, das hatte er herausgefunden, riefen das Beste in ihm auf den Plan. Gab es keine, verlor er den Boden unter den Füßen.
    Das Jahrzehnt vor dem Anschlag war für ihn ein einziges chaotisches Improvisieren gewesen. Konfus und kopflos war er durch das Vakuum des Erwachsenwerdens gestolpert und hatte eine falsche Entscheidung nach der anderen getroffen. Er hatte Probleme in der Schule, schmiss das Junior College und machte sich in Ermangelung anderer Möglichkeiten als Gelegenheitshandwerker selbstständig. Er fing an zu trinken, weil er es hasste, unter den Spülen von Leuten herumzukriechen, mit denen er aufgewachsen war. Und weil er gerne trank. Er heiratete, weil er zu zugedröhnt war, um noch klar denken zu können, und überwarf sich wegen dieser Heirat mit seinen Eltern.
    Fünf Monate vor dem Anschlag trank Sean bei einem Essen bei Patrick ein bisschen zu viel, wurde ein bisschen zu laut. Vielleicht war er auch schon angesäuselt gewesen, als er bei Patrick ankam. Er ereiferte sich darüber, dass ihre Eltern seine Frau Irina ablehnten, er fluchte laut und unflätig, als er einen Suppenteller fallen ließ. Ein frostiger Patrick nahm ihm die Autoschlüssel weg und fuhr ihn nach Hause, und als Sean am nächsten Tag kam, um seinen klapprigen Grand Am abzuholen, fertigte Patrick ihn an der Tür ab und sagte, er solle sich eine Weile nicht blicken lassen. »Wie kannst du erwarten, dass die Leute dich respektieren, wenn du dich so aufführst«, sagte Patrick und meinte damit, dass er ihn nicht mehr respektierte. Jedenfalls behandelten Patricks drei Kinder ihn bis zum heutigen Tag nur mit vorsichtiger Höflichkeit.
    An jenem wie zum Hohn wunderschönen Morgen im September galt Seans erster Gedanke Patrick, dessen Feuerwache ganz in der Nähe der Türme lag. Er raste zum Haus seiner Eltern und versuchte, nicht gekränkt zu sein, weil sie so überrascht schienen, ihn zu sehen. Dann machte er sich zusammen mit seinem Vater auf die Suche nach Patrick. Irgendein anderer Helfer fand ihn schließlich, was wahrscheinlich gut war, aber Sean ging nicht wieder weg. Weder an jenem Tag noch in den nächsten sieben Monaten. Als er nicht mehr bei den Bergungs- und Aufräumarbeiten helfen durfte, weil er weder Polizist noch Feuerwehrmann noch Bauarbeiter war, machte er sich im Umfeld nützlich, beteiligte sich an der Organisation einer Protestaktion, damit die Feuerwehrleute auf dem Gelände weiterarbeiten konnten, gründete ein Komitee mit dem Ziel, mehr Raum

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