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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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den Anschein zu erwecken, als gäbe es mehr zu vermelden. Das Scheinwerferlicht ließ das Gel in seinen straffen Löckchen glitzern wie Sonnenlicht auf einem Fluss.
    Jeder Politiker äußerte sich zu ihrer Neuigkeit oder vermied es tunlichst, sich dazu zu äußern. »Ich kommentiere keine unbestätigten Meldungen«, sagte der Bürgermeister auf NY 1. In seiner Jugend war er ein politischer Krawallmacher gewesen, hatte sich aber inzwischen zu einem gemäßigten Paterfamilias gewandelt. »Im Augenblick mache ich mir mehr Gedanken über das eventuelle Leck – die Betonung liegt auf eventuell – in einem geschlossenen Verfahrensablauf. Wenn wir eines nicht brauchen, dann dass sich die Presse zum Juror aufschwingt.«
    Aber während er darauf beharrte, sich nicht zu hypothetischen Sachverhalten zu äußern, konnte er es sich nicht verkneifen hinzufügen: »Natürlich ist grundsätzlich nicht das Geringste gegen einen Muslim als Gewinner einzuwenden. Es hängt ganz davon ab, von was für einer Art Muslim wir reden. Der Islam ist eine friedliche Religion, wie ich schon häufig betont habe. Das Problem ist, dass manche Leute das noch nicht verstanden haben …« Unklar blieb, ob mit diesen »manchen Leuten« gewaltbereite Muslime gemeint waren, oder aber Leute, die die friedfertigen verunglimpften.
    In einer Pause zwischen zwei Interviews fuhr Alyssa in die Redaktion zurück und sah sich umringt von hochzufriedenen Redakteuren und ignoriert von missgünstigen Kollegen. »Diese Story hat mehr Beine als die Rockettes!«, jubelte Chaz, ihr neuer Chefredakteur, während er von Kanal zu Kanal zappte und eine Runde Drinks zu ihren Ehren in Aussicht stellte. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Noch vor zwei Tagen war sie eine kleine Daily News -Reporterin mit einem hochbrisanten Knüller gewesen, den ihr Chef nicht bringen wollte. Jetzt war sie eine Reporterin der New York Post, deren Artikel in der ganzen Stadt, vielleicht sogar im ganzen Land, Gesprächsthema war.
    Fred, ihr Redakteur bei der News , hatte ihre Story geblockt. Sie brauchte eine zweite Informationsquelle als Bestätigung, hatte er gesagt und sie, bevor sie eine finden konnte, dazu verdonnert, den Kostenanstieg der Reparaturen an der George-Washington-Brücke zu recherchieren. Seine neuentdeckte journalistische Redlichkeit ärgerte sie – normalerweise verlangte er nie eine Bestätigung durch eine zweite Quelle, was der Grund dafür war, dass der Ruf der Zeitung unter seiner Leitung ziemlich gelitten hatte. Ihr quengeliger Informant rief ständig an und fragte, wann die Story denn endlich erscheinen würde. Sie versuchte ihn hinzuhalten, wollte unbedingt verhindern, dass er mit seiner Geschichte woanders hinging, aber allmählich wusste sie nicht mehr weiter. Sie hatte ihn zu einem schweineteuren Essen ins Balthazar eingeladen, inklusive dreistöckiger Meeresfrüchteplatte, die allein ihre Spesenrechnung sprengte. »Die Jury wird einen anderen Gewinner auswählen, und dann ist es zu spät«, warnte er immer wieder. »Dann stehen Sie ohne Story da.«
    Sie flehte, sie schmeichelte und dachte die ganze Zeit: Wieso macht er das? Sie brauchte Motive, die sie auf Unwahrheiten überprüfen konnte, Verletzlichkeiten, um ihm den nächsten Goldklumpen zu entlocken. War einer der Ausschreibungsteilnehmer ihm auf die Füße getreten? Hatte er etwas gegen Muslime? War er vom Vorsitzenden der Jury mies behandelt worden und wollte er sich auf diese Weise dafür rächen? Oder genoss er es einfach, Aufregung zu verursachen? Jeder sehnte sich danach, ein bisschen am Rad der Geschichte herumzudrehen, wenn es sich ergab.
    »Ich werde die Story verlieren«, sagte sie zu Fred. » Wir werden sie verlieren. Mein Informant wird allmählich ungeduldig.«
    »Vertrösten Sie ihn«, nuschelte Fred, während er in eine Banane biss. »Der Umgang mit Informanten ist nun einmal eine Kunst, die gelernt sein will«, setzte er hinzu und stellte damit klar, dass alles allein ihre Schuld sein würde.
    Als sie ihren Informanten anrief, um ihn wieder einmal hinzuhalten, sagte er: »Das ist doch lächerlich. Ich gehe damit zur Post .« Nein, dachte sie. Das tue ich . Und bat Sarah Lubella, eine alte Bekannte, die dort arbeitete, für sie einen Termin bei einem der Redakteure klarzumachen.
    »Ich habe eine wirklich tolle Story – du kannst dich darauf verlassen«, sagte Alyssa.
    »Und wieso bringt deine Zeitung sie nicht?«, fragte Sarah ein bisschen pikiert, weil sie nicht wusste, worum es bei der

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