Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
Vom Netzwerk:
Gedenkstätte ebenso zu lieben, wie sie es tat.
    »Ich hoffe bloß, dass Sie nicht versuchen, uns zum Narren zu halten«, sagte die Frau. Ein kalter Schauer durchlief Claire.
    Sie setzte einen neutralen Gesichtsausdruck auf. »Natürlich nicht. Ich wollte nur, dass Sie alle über die Gedenkstätte Bescheid wissen. Wen haben Sie verloren? Ihren …«
    »Meinen Sohn«, sagte die Frau. »Meinen Erstgeborenen.«
    »Das tut mir leid«, murmelte Claire, als hätte sie selbst nicht ihren Mann verloren.
    »Ich will Ihr Mitleid nicht.« Claire wurde blass. »Ich will Ihre Wachsamkeit. Wir wollen keinen Muslim für die Gedenkstätte, aber ich glaube, das wissen Sie.«
    »Wenn er in einer fairen Auswahl gewonnen hat, können wir ihm den Sieg nicht nehmen«, sagte Claire und bedauerte ihre Bemerkung auf der Stelle. Indirekt hatte sie Khans Auswahl gerade bestätigt, obwohl Paul ihr eingeschärft hatte, das auf gar keinen Fall zu tun. Aber die Frau hatte etwas an sich, eine moralische Unerbittlichkeit, die sowohl zu Geständnissen verleitete als auch Herausforderung war.
    »Er hat also tatsächlich gewonnen.«
    »Der Garten hat gewonnen«, sagte Claire. »Nur das zählt. Wie die Gedenkstätte aussehen wird. Alles andere ist unwichtig.«
    Die mechanische Erinnerung an ein Lächeln zuckte um die Lippen der Frau. »Manchmal wünschte ich, Patrick wäre bei einem ganz normalen Brand gestorben. Der Tod eines Feuerwehrmanns ist nie privat, nicht, wenn er im Dienst stirbt. Aber diese ganze Politik, dieses ganze – Aufsehen! Es gefällt mir nicht. Trauer sollte in aller Stille stattfinden. Eine Gedenkstätte sollte die Stille eines Klosters besitzen. Vielleicht ist es etwas anderes, einen Mann zu verlieren –«
    »Ich habe meinen Mann geliebt«, sagte Claire absichtlich hochfahrend.
    »Ich habe nichts Gegenteiliges behauptet.« Wieder das freudlose, mechanische Lächeln.
    Ehe Claire antworten konnte, tauchte Sean neben ihnen auf. Die Versammlung war vorbei.
    »Ma«, begrüßte er die Frau, die bei Claire stand.
    »Sean«, sagte Mrs Gallagher, ohne den Blick von Claire zu lösen, die in ihrem Augenblick der Aufrichtigkeit von vorhin nicht mit der Möglichkeit gerechnet hatte, sie könne ausgerechnet mit Seans Mutter sprechen. Das erhöhte die Tragweite ihres Fehlers um ein Vielfaches. Sie hatte auf der Bühne nicht direkt gelogen, aber Mrs Gallagher würde sie garantiert beim Wort nehmen, so wie sie es anscheinend bei Sean immer tat. Es seiner unversöhnlichen, unerbittlichen Mutter recht zu machen, die zu großen Fußstapfen seines toten Bruders ausfüllen zu müssen: Das waren gefährliche, unmöglich zu erreichende Ziele. Der unglaubliche Druck, der dadurch auf ihm lastete, führte dazu, dass man ihn nur umso mehr fürchten musste. Claires Beklommenheit wuchs, Krähen landeten eine nach der anderen auf einem Feld.
    »Ich habe die Toiletten gesucht«, sagte sie, um möglichst schnell von hier wegzukommen.
    »Würden Sie mir bitte den Namen des Muslims nennen, der gewonnen hat?«, hörte sie eine Stimme hinter sich. Eine Reporterin war bei ihnen aufgetaucht – diese Alyssa Spier. Sie berichtete über alles, was mit der Gedenkstätte zusammenhing und hatte sich von Claires Hagiografie nie sonderlich beeindruckt gezeigt.
    »Die Beratungen der Jury sind vertraulich«, sagte Claire.
    »Aber Sie haben da draußen über den Entwurf gesprochen«, sagte Sean.
    »Nur wegen der ganzen Aufregung im Umfeld. Und was ich da draußen gesagt habe, ist die Wahrheit. Ich weiß so gut wie nichts über den Künstler.«
    »So gut wie nichts«, kam es prompt von Alyssa. »Das heißt, Sie wissen zumindest, wie er heißt.«
    »Vielleicht habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt. Die Jury wird mit der Presse sprechen, sobald wir so weit sind, den Gewinner bekanntzugeben«, sagte Claire, die spürte, wie sich Mrs Gallaghers Blick in sie hineinbohrte. Innerlich völlig verkrampft versuchte sie, sich aus der Affäre zu ziehen. »Ich muss nach Hause. Ich muss zurück zu meinen Kindern. Sean, ich melde mich. Mrs Gallagher, es war nett, Sie kennenzulernen.« Sie wollte schon die Hand ausstrecken, überlegte es sich aber anders. Wenn Mrs Gallagher ihre Hand nicht nähme, wäre das furchtbar peinlich. »Und bitte vergessen Sie nicht, wir müssen offen bleiben«, fügte sie hinzu. »Das dürfen wir uns von niemand nehmen lassen.«
    Als sich sich vorbei an Theaterrequisiten und Kulissen zum Ausgang durchschlängelte, merkte sie, dass Alyssa Spier immer

Weitere Kostenlose Bücher