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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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mein Entwurf den Familien und dem Land eine Möglichkeit bietet, sich an die Verluste jenes Tages zu erinnern und sie zu betrauern, aber auch Trost zu finden. Wie es scheint, sahen die Mitglieder der Jury das auch so. Jeder weiß inzwischen, dass sie sich für meinen Entwurf entschieden haben.« Er deutete auf die Zeichnungen eines Gartens, die auf einer Staffelei rechts von ihm standen. »Aber anscheinend haben sie ein Problem mit der Person, die den Entwurf eingereicht hat.«
    Alyssa schrieb so schnell mit, wie sie konnte, wollte kein Wort verpassen, obwohl ihr Kassettenrekorder lief und sie wusste, dass Khans Worte Dutzende von Malen im Fernsehen wiederholt werden würden. Das Ganze war eine Übung in Sachen Redundanz: Es mussten mindestens fünfzig Reporter und Kameraleute im Raum sein, alle versessen darauf, dieselbe Neuigkeit zu bringen, dieselben Worte.
    Nach einer kurzen Pause sprach Mohammad Khan weiter: »Ich wurde gebeten, meinen Entwurf entweder zurückzuziehen oder aber anonym zu bleiben, damit mein Name nicht mit dem Entwurf in Verbindung gebracht werden kann. Oder mich mit jemand anderem zusammenzutun und den Entwurf unter dem Namen dieser Person laufen zu lassen. Aber ich werde ihn nicht zurückziehen, und ich werde auch auf keine der anderen Forderungen eingehen. Täte ich es, wäre das nicht nur ein Verrat an mir selbst, sondern auch am Glaubensbekenntnis dieses Landes, dass nämlich allein die Leistung zählt und nicht Namen, Religion oder Herkunft. Die Jury wollte diesen Entwurf, die Person, die ihn eingereicht hat, gehört dazu. Wenn sie jetzt entscheidet, dass sie diesen Entwurf doch nicht will –«
    Seine Stimme war lauter geworden, sein Ton angriffslustiger. »Er ist auf Streit aus«, flüsterte jemand in Alyssas Nähe. Aber die Frau neben Khan warf ihm einen Blick zu, beugte sich näher ans Mikrofon und sagte: »Es geht kein Weg daran vorbei, dass das weitere Verfahren so ablaufen muss wie vorgesehen, wie in den Statuten der Ausschreibung festgehalten.«
    »Wer sind Sie?«, rief jemand.
    »Meine Anwältin, Laila Fathi«, sagte Khan, wieder ruhig. Eine Weile erläuterte er ihnen seinen Entwurf – eine Art Garten, die Namen der Toten auf den Einfassungsmauern aufgelistet. Die Spannung im Raum ließ nach, das hastige Gekritzel verlangsamte sich, die Reporter saßen die Zeit ab. Niemand interessiert sich für seinen Entwurf, dachte Alyssa. Kapiert er das denn nicht?
    »Falls Sie weitere Fragen haben, wird Ms Fathi sie beantworten«, kam Khan zum Schluss, deutete auf seine Anwältin, stand auf und ging auf eine Seitentür zu. Die Ordnung im Raum brach zusammen. Ein Stoß in den Rücken katapultierte Alyssa nach vorn; ein fetter Kameramann drängte sich an ihr vorbei. »Aus dem Weg!«, schrie er. Ehe sie reagieren konnte, wurde sie noch einmal angerempelt, dann noch einmal, als Wellen von Männern hinter Khan herstürmten und alles niedertrampelten, was ihnen in den Weg geriet.
    »Fuck!«
    »Da drüben ist er!«
    »Schnappt ihn euch!«
    »Du stehst mir im Bild!«
    »Arschloch! Das war mein schlimmes Bein! Verdammt!«
    Er war weg. Im Gewühl war die Staffelei mit den Illustrationen umgestoßen worden. Die Zeichnungen lagen auf dem Boden. Auf einer von ihnen war der verschmierte braune Abdruck einer Gummisohle zu sehen. »Mach davon eine Aufnahme«, wies Alyssa ihren Fotografen an. Viel dramatischer als die Zeichnungen auf der Staffelei – sein Traum mit Füßen getreten. Geschieht ihm recht, dachte sie, bloß war sie sich nicht sicher, ob es ihr eigener Gedanke war oder ihre Vorstellung von dem, was ihre Leser denken würden.
    Da sie wegen Notizbuch und Kassettenrekorder keine Hand frei hatte, fuhr sie sich mit dem Unterarm über die Stirn, um den Schweiß wegzuwischen, der ihr in den Augen brannte. Es war immer dasselbe in diesen Medienkesseln – die stickige Hitze, die dicht gedrängten, sich aneinanderreibenden Körper.
    »Sieht aus, als hätte dein Knüller dich ausgestochen«, sagte Jeannie Sciorfello, eine Kollegin von der Daily News , und Alyssa musste sich zusammenreißen, um ihr keine zu scheuern.
    Zurück in der Redaktion füllte sie einen Beutel mit Eis und versuchte, ihre ramponierten Rippen damit zu kühlen. Am liebsten hätte sie auch ihrem Ego einen Eisbeutel gegönnt. Solange Khan namenlos war, hatte er ihr gehört. Jetzt gehörte er allen. Offenbar glaubte er, die Initiative an sich reißen zu können, indem er den Schleier seiner Identität lüftete. Alyssa kicherte über

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