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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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noch hinter ihr war. Sie beschleunigte ihren Schritt, nur um durch Flure verfolgt zu werden, um Ecken herum, aus dem Gebäude heraus und auf den Parkplatz. Sie konnte die Schritte hinter sich hören, das Keuchen – die Reporterin hatte kurze Beine –, die endlos abgefeuerten Fragen: »Mrs Burwell, wie heißt er? Ist es überhaupt ein Mann? Was wird die Jury machen? Was sagen Sie dazu, wie aufgebracht die Leute da drin waren? Mrs Burwell! Mrs Burwell!«
    In der Nähe ihres Autos beschleunigte Claire ihren Schritt noch mehr, suchte in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel, drückte auf die Entriegelung, glitt auf den Fahrersitz und schlug die Tür zu, wobei sie nur hoffen konnte, dass die Reporterin die Finger nicht dazwischen hatte. Spier schrie ihre Fragen auch noch durch das Fenster, und als Claire lospreschte, sah sie die Reporterin, immer noch Fragen rufend, im Rückspiegel. Aber wenigstens war sie jetzt nicht mehr zu hören.
    Im Dunkeln fuhr sie durch Manhattan. Der Wind überzog den schwarzen Fluss mit einem Riffelmuster, sein düsteres Aussehen färbte auf Claires Gedanken ab.
    Im Radio hörte sie, was Gouverneurin Bitman vorhin gesagt hatte, und verstand, wieso die Menge so aufgebracht gewesen war. Aber was wollte Bitman, deren Kampagne erst von Cal und dann auch von Claire unterstützt worden war, damit erreichen? Eigentlich sollte sie nur absegnen, was immer die Jury tat, so jedenfalls hatte man es der Jury gesagt. Jetzt sah Claire, dass sie sowohl innerhalb als auch außerhalb der Jury allein kämpfte.
    Es war schon nach zehn, als sie endlich in Chappaqua ankam. Als sie vom Auto zur Haustür ging, bemerkte sie etwas unter der Blutbuche, das wie ein Obdachlosenlager aussah. Sie ging hin und erkannte im milchigen Licht, das aus dem Haus fiel und vom Mond verstärkt wurde, eine Schachtel Raisin Bran (»Die hatte Daddy immer am liebsten«, hatte sie zu den Kindern gesagt, obwohl sie gar nicht mehr sicher war, ob das stimmte, aber William und Penelope hatten das Zeug daraufhin anstandslos gegessen), einen Stapel stibitzter Bücher aus Cals Arbeitszimmer, einen Tennisschläger, den 2.000-Dollar-Smoking, den er bei der Hochzeit getragen hatte – alles um den Steinhügel herum angeordnet. Eine kindliche Totenbeschwörung. William, der glaubte, auf diese Weise die Steine zum Leben erwecken oder seinen Vater nach Hause locken zu können.
    »Nach allem, was wir wissen, könnte es der Entwurf eines einäugigen, bärtigen Killers im Flattergewand sein – das macht die Sache so beängstigend«, hatte Alyssa am Morgen in Lou Sarges Sendung zu ihm gesagt.
    Dieser von ihr heraufbeschworene Killer saß jetzt vor ihr, um den wartenden Reportern seine Identität bekanntzugeben, und er entsprach dem Bild in keinster Weise. Gut, er hatte einen Bart, aber der war geschmackvoll kurz getrimmt. Sein Anzug sah teuer aus und sein Auftreten war, ganz anders als das der devoten, überliebenswürdigen Inder in ihrem Viertel, geradezu hochmütig. Neben ihm saß eine dunkelhaarige, orientalisch aussehende Frau in einem kardinalroten Kostüm, das verriet, dass sie nicht nur keine Angst davor hatte, Aufmerksamkeit zu erregen, sondern sie geradezu suchte. Mehrere Männer, einige von ihnen in islamischer Kleidung, und ein paar kopftuchtragende Frauen standen steif an der Wand hinter den beiden und sahen aus, als hätte die Polizei sie für eine Gegenüberstellung dort aufgebaut. Alyssa kaute an ihrer Nagelhaut herum, bis sie etwas Metallisches schmeckte. Blut.
    Sie befanden sich in den Büros des MACC , einer Organisation, von der sie bis zu diesem Morgen noch nie etwas gehört hatte. Die gesamte New Yorker Presse schien sich mit ihr in den Raum gequetscht zu haben. Gemeinsam ließen die Reporter die Vorstellung aller zwölf Ratsmitglieder, die anschließend Platz nahmen, über sich ergehen.
    Die Hauptattraktion wartete, bis das allgemeine Geraschel sich gelegt hatte, hielt dann die Post mit dem hinter einer Skimaske verborgenen Gesicht hoch und sagte: »Mein Name ist Mohammad Khan, und ich glaube, das hier soll ich sein.« Blitzlichter und Kameras klickten – für einen Augenblick die einzigen Geräusche im Raum.
    »Ich bin Architekt, und ich bin Amerikaner«, fuhr er fort. »Rein zufällig bin ich auch Muslim. Ich bin in Virginia geboren und aufgewachsen und habe fast mein ganzes Leben als Erwachsener in New York verbracht. In Manhattan. Ich habe mich an der Ausschreibung für die Gedenkstätte beteiligt, weil ich glaube, dass

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