Der amerikanische Architekt
im Leben tun. Auch in Brooklyn wäre es nicht einfach, sich noch einmal zu verheiraten, aber wenn sie es geschafft hatte, aus Sandwip wegzukommen, schaffte sie es vielleicht auch, aus Kensington wegzukommen. Wie es wohl wäre, in den Vierteln zu leben, die sie im Fernsehen sah, mit weißen Menschen und großen Häusern mit Auffahrten, auf denen Autos standen? Und wo es Rasensprenger gab? Sie wollte ja gar nicht sagen, dass sie auf diese Weise leben wollte. Sie war einfach nur neugierig.
»Wirst du kommen?«, fragte ihr Onkel in diesem Augenblick. Wieso, hätte sie fast gesagt: Ihr Vater würde lange bevor sie zu Hause eintraf in Bahrtücher eingehüllt und beerdigt sein.
»Inschallah«, sagte sie.
Nach diesem Anruf war sie unglücklich, untröstlich und völlig überreizt. Abdul, der sich einen Topf über den Kopf gestülpt hatte, stolperte zwischen den Möbeln umher und kicherte hysterisch bei jedem Zusammenstoß. Ihre Nachbarn stritten immer noch, ihre Stimmen drangen mal lauter, mal leiser auf sie ein, ohne jede Rücksicht auf ihren Kummer. Es war respektlos, so respektlos, wie wenn während des Ramadans Bomben geworfen wurden, bei der Nachricht vom Tod ihres Vaters nicht innezuhalten, auch wenn sie nichts davon wussten. Asma verabscheute sie ebenso sehr dafür, dass sie einander hatten, wie dafür, dass sie einander hassten – dafür, dass sie einander hatten, um sich hassen zu können.
Einen Augenblick lang trat Stille ein, vielleicht war es endlich vorbei. Dann hörte sie Kabirs Stimme erneut, lauter, zorniger, dann einen Aufschrei, ein Aufheulen, ein Schluchzen. Sie hatte genug. Sie dachte an ihren Mann, den gütigsten Mann, den sie kannte, und an ihren Vater, den mutigsten, nahm Abdul auf den Arm, zog ihm den Topf ab, marschierte nach nebenan und klopfte laut.
Als Hasinas Weinen aufhörte, hinterließ es ein Vakuum – intensiver als einfach nur Stille –, wie das plötzliche, unerwartete Ende des Monsun. Sogar Abdul hörte auf zu zappeln und verhielt sich ganz still, als spüre er, dass sich etwas verändert hatte. Asma hämmerte noch einmal gegen die Tür. Ein Rascheln. Sie wusste, dass jemand hinter dem Spion stand. Dann öffnete Kabir die Tür. Asma drängte sich einfach an ihm vorbei und lief zu Hasina, die in sich zusammengesunken auf der Couch saß, das Gesicht rot und verquollen, das rechte Auge angeschwollen.
»Komm mit mir«, sagte Asma und versuchte, Hasina am Arm hochzuziehen, ohne Abdul fallenzulassen. Hasina aber schien ihren ganzen Körper schwer zu machen, drückte die Schenkel nur noch tiefer in die Couch. Der herumzappelnde Abdul, der abgesetzt werden wollte, war keine Hilfe. »Komm mit mir«, sagte Asma lauter, als hätte Hasina sie beim ersten Mal nicht gehört. »Ich helfe dir, eine Unterkunft zu finden. Du musst diese Ehe hinter dir lassen.« In einer der bangladescher Zeitungen hatte sie von einem Zufluchtsort für misshandelte muslimische Frauen gelesen. Hier war eine perfekte Kandidatin dafür, genau wie eine Figur aus einer Fernsehserie.
»Verschwinde!«, zischte Hasina. »Wo hast du bloß diese Ausdrücke her, wie kommst du bloß auf diese Gedanken?« Ihr giftiger Ton traf Asma wie ein Schlag. »Ich will nicht weg«, keifte sie. Der Bereich rund um ihr Auge schwoll immer mehr an, bald würde das ganze Auge verschwunden sein, wie ein Stein, der in Wasser versinkt. »Du solltest dich schämen! Schämen!«, schrie sie immer hysterischer, und Asma solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Kabir fiel in das Gezeter ein. Asma hielt Abdul die Ohren zu, aber jetzt fing auch er an zu schreien. Rückwärtsgehend flüchtete sie aus der Wohnung und sah, dass der ganze Flur voller Nachbarn war, unter ihnen Mrs Mahmoud, die natürlich wissen wollte, was hier los war. Bevor irgendjemand fragen, eine Meinung äußern, etwas sagen konnte, rannte Asma in ihr Zimmer, schloss die Tür ab und schluchzte in Abduls Haare.
Zwei Stunden später klopfte es an Mrs Mahmouds Tür. Drei Männer, von denen Asma wusste, dass sie im Haus wohnten, waren gekommen, um ihre Empörung über ihre unangemessene Einmischung kundzutun. Wie in jeder schwierigen Situation seit Inams Tod bestand ihre Reaktion darin, Nasruddin anzurufen. Er kam so schnell er konnte, in einem eleganten, weit fließenden traditionellen Gewand, und sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn unverkennbar aus einer Familienfeier herausgerissen hatte. Sie erzählte ihm, was vorgefallen war, und berichtete ihm dann
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