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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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sondern auch ein Privileg war, einen geliebten Menschen auf diese Weise zu verlieren. Die wohlgenährten, übereifrigen Gesichter seiner Zuhörer gierten nach etwas, was man nicht kaufen konnte, und er bemitleidete sie wegen ihres Wunsches, in irgendeinen tieferen Bereich vorzudringen, Teil von etwas Größerem zu sein. So entsetzlich die Anschläge auch gewesen waren, jeder sehnte sich danach, ein bisschen von der Asche an den Händen zu haben.
    Aber diese Menschenmenge hier, die größte, die er je vor sich gehabt hatte, strahlte weder Achtung noch Sehnsucht aus. Patrick hatte ihm irgendwann einmal gezeigt, dass der Rückstoß eines zu schnell geöffneten Ventils an einem Löschschlauch einen Feuerwehrmann von der Leiter reißen konnte. Sean traute dieser Menge nicht.
    Er war nicht in Form, seine Ansprache kurz. »Es war Khan nicht genug, seine Rechte als Moslem einzufordern. Nein, auch sein Garten muss Rechte haben …« Es gab nur vereinzelten, verhaltenen Applaus, als könnten die Leute ihn nicht richtig hören. Immer wieder kam es zu störenden Feedbacks. Als er sagte: »Wir alle wissen, wie wichtig die Verfassung ist«, gab es unsicheres Gejohle, ein paar Buhrufe. »Wir finden bloß nicht, dass sie das Einzige ist, was zählt«, beendete er den Satz. Applaus, immerhin, aber nur lauwarm.
    Als Debbie auf die Bühne marschierte, baute sich eine der SAFI -Frauen hinter ihr auf und fing an, die Flagge zu schwenken. Ein batteriebetriebener Ventilator vor ihr ließ ihre langen Haare nach hinten wehen. »Ich will, dass uns allen klar ist, dass wir für die Seele dieses Landes kämpfen«, rief sie. Die Menge, die plötzlich sehr gut zu hören schien, jubelte. »Über Generationen hinweg kamen Einwanderer in dieses Land und fügten sich ein, akzeptierten die amerikanischen Werte. Die Muslime dagegen wollen Amerika verändern – nein, sie wollen es vereinnahmen. Unsere Verfassung schützt die Religionsfreiheit, aber der Islam ist keine Religion! Er ist eine politische Ideologie, und zwar eine totalitäre.« Noch mehr Jubel. Sean wippte nervös auf den Fußballen auf und ab, unglücklich darüber, dass ihre Breitseite seine Ansprache absolut belanglos wirken ließ. Nun führte sie die Menge zum kathartischen, zündenden Ruf an: RETTET AMERIKA VOR DEM ISLAM ! RETTET AMERIKA VOR DEM ISLAM !«
    Auf diesen Ruf hin, das Zeichen dafür, dass es losging, hob Sean die rechte Hand und blies in eine Pfeife. Er war wieder wichtig. Mitglieder seines Komitees und SAFIS umdrängten ihn wie aufgeregte Schulkinder, formierten sich dann zu perfekt ausgerichteten Reihen und marschierten auf die Straße.
    Seans ursprüngliche Vision war von einer ganzen Reihe von Kompromissen verwässert worden. Die Gouverneurin hatte behauptet, nicht in der Lage zu sein, ihnen die Erlaubnis zu verschaffen, auf dem Gelände selbst zu demonstrieren. »Die Tore stehen also für Khan offen, nicht aber für uns?«, hatte Debbie voller Befriedigung gesagt. Sie hatte ein Händchen dafür, jeden Rückschlag in einen Beweis für die Richtigkeit ihrer Weltsicht zu verwandeln, jeden Widerspruch in den Beweis für Dhimmitude. »Gut, dann blockieren wir eben die Straße«, hatte sie gesagt, als sei das alles ihre und nicht Seans Idee gewesen. Aber selbst die Erlaubnis dafür zu bekommen, an so einem heiklen Ort, hatte Zugeständnisse verlangt: Die Polizei wollte im Voraus die Namen all derer, die die Absicht hatten, sich verhaften zu lassen. Jetzt erkannte Sean, der sich vorher darauf konzentriert hatte, die Menge zu beobachten, dass die Polizei die Straße bereits abgesperrt hatte. Sie war so leer wie der Kirchenparkplatz mitten in der Woche, auf dem sie ihren Einsatz geübt hatten. Es gab nichts zu blockieren.
    Weniger enthusiastisch blies er noch einmal in die Trillerpfeife, und die Marschierenden verwandelten sich in ein Exerzierteam. Rund fünfhundert Menschen, die einen penibel genauen Abstand voneinander einhielten, knieten sich wie auf Befehl hin, um betende Muslime nachzuahmen, sich über sie lustig zu machen. Doch statt den Boden mit der Stirn zu berühren, legten sie sich dann auf den Rücken. »Allah den Bauchnabel zeigen«, hatte Debbie diese Bewegung genannt.
    »Schützt die geheiligte Erde!«, riefen die Mitglieder von Seans Komitee.
    »Rettet Amerika vor dem Islam!«, riefen die SAFIS .
    Nachdem Sean die exakt aufeinander abgestimmte Bewegung der vielen Körper beobachtet hatte, legte er sich in einer Wolke aus SAFI -Parfüm und seinem eigenen

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