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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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Schweiß ebenfalls hin. Der Boden unter seinem Rücken war hart, der Himmel über ihm von einem durchdringenden Blau, glatt wie frisch zubereitete Eiscreme. Ein Tag so klar und schön wie der, an dem die Anschläge geschehen waren, ein Geschenk von einem Tag, aber irgendetwas in ihm fühlte sich so störend an wie ein Steinchen im Schuh.
    »Sie blockieren eine öffentliche Straße!«, rief ein Polizeibeamter durch ein Megafon. »Ich zähle jetzt bis hundert. Wenn ich damit fertig bin, müssen Sie sich auflösen. Falls nicht, sind wir leider gezwungen, Verhaftungen vorzunehmen.«
    Dieser knappe Zeitrahmen kam Sean viel zu strikt vor (»… dreiundvierzig, vierundvierzig, fünfundvierzig …«), ihr Widerstand erschien ihm als nichts anderes als gelenkte Unterwerfung. Insgeheim hatte er gehofft, dass die Polizei sie vielleicht gar nicht verhaften würde, sich weigern würde, die Anweisungen zu befolgen, Patriotismus über Pflicht stellen würde (»… neunundsechzig, siebzig, einundsiebzig …«). Aber während er darauf hoffte, dass die blaue Mauer aufbrach, hörte er nur das Scharren von Polizistenfüßen. Und dann: »Achtundneunzig … neunundneunzig … einhundert. Die Zeit ist abgelaufen, meine Damen und Herren. Stehen Sie bitte auf, Sir. Machen Sie uns bitte keine Schwierigkeiten, vielen Dank, ich weiß das zu schätzen, Hände nach vorn, die hier sind aus Plastik. Sie werden sie kaum spüren, vielen Dank.«
    »Terroristenfreund!«, hörte er eine Frau einen Polizisten anschreien, der fast liebenswürdig sagte: »Ma’am, ich habe vier Kinder. Mein liebster Freund ist mein Gehaltsscheck.«
    Die Höflichkeit der Polizisten war unerträglich, die Schmerzen in seinem Rücken auch. Als er den Kopf hob, um zu schauen, was die Polizisten machten, bemerkte er eine schweigende Gruppe von Gegendemonstranten auf dem Bürgersteig. Die meisten von ihnen, aber nicht alle, sahen muslimisch aus – Frauen mit Kopftüchern, Männer mit Bärten. Dunkle Hautfarbe. Sie trugen Schilder mit Aufschriften wie: WIR SIND AUCH AMERIKANER , DER ISLAM IST KEINE BEDROHUNG , AUCH MUSLIME STARBEN AN DIESEM TAG und BIGOTTERIE = IDIOTIE . Dieses Schild ließ Sean Rot sehen, so rot wie die Farbe des Kopftuchs, das die Frau mit dem Schild trug. Rubin wollte, dass er nicht ausfallend wurde? Er sprang auf und marschierte auf die Frau zu. »Wollen Sie damit sagen, dass ich ein Idiot bin?« Seine Aussprache war feucht, seine Stimme überschlug sich. Es war ihm egal. »Wollen Sie sagen, dass meine Eltern bigott sind? Ein Haufen Muslime hat meinen Bruder umgebracht. Warum protestieren Sie nicht gegen die? Haben Sie je ein Schild hochgehalten, auf dem stand: ›Mord im Namen meiner Religion ist falsch?‹«
    »Natürlich ist es falsch«, sagte die Frau mit ruhiger Stimme. »Aber Diskriminierung aus religiösen Gründen ist es auch.«
    Ihre Gelassenheit, so provozierend, brachte ihn dazu, sie im Gegenzug auch provozieren zu wollen, eine Reaktion aus ihr herauszukitzeln, und das Provokanteste, was ihm einfiel war, ihr das Kopftuch abzureißen. Er streckte die Hand aus, sich bewusst, dass ein kleiner Teil von ihm auch sehen wollte, was so kostbar war, dass es verdeckt werden musste. Er erwischte, vielleicht ein bisschen grob, den Rand ihres Kopftuchs, als sie erschrocken zurückfuhr, so dass das Tuch nach vorn rutschte. Vielleicht konnte sie einen Augenblick lang nichts sehen, vielleicht streifte seine Hand ihren Kopf. Dann wurden sie von einem Polizisten getrennt, oder vielmehr riss der Polizist Sean zurück, legte ihm Handschellen an und verlas ihm seine Rechte. Dann stieß er ihn in einen Bus, zu seinen Komiteemitgliedern und den SAFI s, die immer noch »Keine muslimische Gedenkstätte!« skandierten, ihn anstrahlten und den Daumen hochreckten. Im Revier wurden die anderen nacheinander geholt und abgefertigt und entlassen, während er selbst wegen tätlichen Angriffs in minderschwerem Fall festgehalten wurde, zusammen mit einem Sammelsurium von Männern, die wegen Taschendiebstahls, Urinieren in der Öffentlichkeit oder unbefugtem Betreten festgenommen worden waren, bevor er schließlich auf seine Zusage eines schriftlichen Schuldanerkenntnisses hin freigelassen wurde.
    Debbie bezeichnete sein Herunterreißen des Kopftuchs als »Geniestreich«. Empörte Liberale bezeichneten es als Unsäglichkeit. Niemand wollte glauben, dass er das alles nicht geplant hatte. Seine Entschlossenheit, das richtigzustellen, bestätigte alle nur umso mehr in ihrer

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