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Der amerikanische Buergerkrieg

Der amerikanische Buergerkrieg

Titel: Der amerikanische Buergerkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hochgeschwender
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Demgegenüber setzte von seiten der Radikalen eine Debatte über einen möglichen Verfassungszusatz ein, mit dessen Hilfe die Sklaverei endgültig überwunden werden sollte. Schließlich standen die regulären Zwischenwahlen des Jahres 1862 ins Haus, und einige moderate republikanische Parteistrategen, darunter Seward, befürchteten herbe Verluste der Partei für den Fall eines zu energischen Vorgehens in der Sklavereifrage. Lincoln befand sich also in einer echten Zwickmühle, aus der es keinen Ausweg zu geben schien. Diesem konkreten Zusammenhang entstammte sein berühmtes Diktum, er werde die Union retten, gleichgültig ob er dafür alle Sklaven, einige Sklaven oder gar keinen Sklaven befreie. Der Primat der Einheit der Union schien demnach weiterhin gesichert. Kaum jemand wußte jedoch, daß Lincoln bereits den Text für eine Emanzipationsproklamation der Bundesregierung in der Schublade seines Schreibtisches im Weißen Haus aufbewahrte.
    Fünf Tage nach der Schlacht von Sharpsburg präsentierte Lincoln einer erstaunten Öffentlichkeit den Entwurf der
Emancipation Proclamation
. Dieser wich aber noch erheblich von der Endfassung ab, die bis heute zu den zentralen Dokumenten der Weltgeschichte des 19. Jahrhunderts zählt. Vor allem hielt Lincoln weiterhin an seiner alten Idee der Kolonisation fest. Die befreiten Schwarzen sollten entweder nach Afrika oder nach Lateinamerika umgesiedelt werden. Dieser Punkt erregte unter schwarzen und radikalen Politikern einiges Aufsehen. Insbesondere Frederick Douglass sah sich dadurch veranlaßt, Lincoln mehrfach aufzusuchen, um ihn von diesem Ideal der alten gradualistischen Emanzipationsbewegung abzubringen. Neben den Anhängern der Emanzipation meldeten sich die Gegner zu Wort. Einige Demokraten forderten ein
impeachment
, ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten. Wie Seward undandere vorausgesehen hatten, tobte die demokratische Presse. Die Emanzipationsproklamation sei nichts anderes als eine Aufforderung zu Mord, Rassenkrieg und Massenvergewaltigungen im Süden, ein Angriff auf die Unantastbarkeit des Eigentums, ein Bruch der Verfassung und Verrat an den ursprünglichen Kriegszielen der Union. Damit hätten sich die Radikalen endgültig durchgesetzt. Im Endeffekt nutzte den Demokraten dieses Argument wenig. Im November gelang es ihnen zwar, den Republikanern im Kongreß einige Sitze abzunehmen, aber ein entscheidender Wahlsieg ihrer Partei blieb aus.
    Lincoln modifizierte daraufhin den ursprünglichen Text und strich alle Sätze, die sich auf Kolonisationsprojekte bezogen. Am 1. Januar 1863 veröffentlichte er die endgültige Version der
Emancipation Proclamation
. Bis zu einem gewissen Grade stellte die Erklärung eine politische Mogelpackung dar, denn ihr unmittelbarer Effekt war gleich Null. Nicht ein einziger Sklave wurde an diesem Tag faktisch befreit, da sich der Text ausschließlich auf jene Gebiete bezog, die am Tag der Veröffentlichung hinter den Frontlinien der Konföderation lagen. Sämtliche der Union zugehörigen oder von ihr besetzten Territorien waren von der Emanzipation der Sklaven ausgenommen. Dies mindert gleichwohl die Relevanz der Proklamation nicht im mindesten. Auf der einen Seite war sie ein deutliches symbolisches Signal an die Amerikaner und den Rest der Welt. Dieser Krieg wurde nicht mehr nur geführt, um die Einheit der Union zu erhalten. Er war ein moralischer Krieg geworden, dessen Hauptziel nunmehr die Befreiung aller Sklaven in den Südstaaten war. Und war es ein Zufall, daß der Präsident und seine Regierung just zu diesem Zeitpunkt, 1863 nämlich, begannen, die politische Semantik umzustellen und von der Nation anstelle der Union zu sprechen? Kaum! Mit der Emanzipationsproklamation war der Rubikon vom konservativen «Krieg um Union und Konstitution» zum aggressiven liberalen, nationalen Einigungskrieg überschritten; der moralischen Überhöhung der Kriegsziele entsprach das Umschalten auf die Nation als Letztinstanz der Kriegführung. Die Bundesregierung beanspruchte für sich Rechte, die dem positiv gesetzten Recht nicht zu entnehmenwaren, allenfalls dem naturrechtlichen
ius in bello
, dem Recht im Kriege. Nach dem Rechtsverständnis der Union hatten Sezession und Konföderation keine eigene Staatlichkeit begründet. Damit befanden sich die Sklavenhalter im Zustand der Rebellion und konnten entsprechend enteignet werden. Wie dem immer auch gewesen sein mag, der Schritt selbst war verfassungsrechtlich fragwürdig und wurde

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