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Der Amokläufer

Der Amokläufer

Titel: Der Amokläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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angezogenerGentleman, mit kühlem Gesicht grüßend und dankend zwischen den Wagenreihen durchfuhr! Denn während meine Larve, der äußere, der frühere Mensch, noch Gesichter fühlte und erkannte, rauschte innen in mir eine so taumelnde Musik, daß ich mich niederdrücken mußte, um nicht etwas herauszuschreien von diesem tosenden Tumult. Ich war so voll von Gefühl, daß mich dieser innere Schwall physisch quälte, daß ich wie ein Erstickender die Hand gewaltsam an die Brust pressen mußte, unter der das Herz schmerzhaft gärte. Aber Schmerz, Lust, Erschrecken, Entsetzen oder Bedauern, nichts fühlte ich einzeln und abgerissen, alles schmolz zusammen, ich spürte nur, daß ich lebte, daß ich atmete und fühlte. Und dieses Einfachste, dieses urhafte Gefühl, das ich seit Jahren nicht empfunden, machte mich trunken. Nie hatte ich mich selbst auch nur eine Sekunde meiner sechsunddreißig Jahre so ekstatisch als lebendig empfunden als in der Schwebe dieser Stunde.
    Mit einem leichten Ruck hielt der Wagen an: der Kutscher hatte die Pferde angezügelt, wandte sich vom Bock und fragte, ob er nach Hause fahren solle. Ich taumelte aus mir heraus, hob die Blicke über die Allee hin: mit Betroffenheit merkte ich, wie lange ich geträumt, wie weit die Trunkenheit über die Stunden sich ausgegossen hatte. Es war dunkel geworden, ein Weiches wogte in den Kronen der Bäume, die Kastanien begannen ihren abendlichen Duft durch die Kühle zu atmen. Und hinter den Wipfeln silberte schon ein verschleierter Blick von Mond. Es war genug, es mußte genug sein. Aber nur nicht jetzt nach Hause, nur nicht in meine gewohnte Welt!Ich bezahlte den Kutscher. Als ich die Briestasche zog und die Banknoten zählend zwischen die Finger nahm, liefs wie ein leiser elektrischer Schlag mir vom Gelenk in die Fingerspitzen: irgend etwas in mir mußte noch wach sein also vom alten Menschen, der sich schämte. Noch zuckte das absterbende Gentlemansgewissen, doch ganz heiter blätterte schon wieder meine Hand im gestohlenen Gelde, und ich war freigebig aus meiner Freude. Der Kutscher bedankte sich so überschwenglich, daß ich lächeln mußte: wenn du wüßtest! Die Pferde zogen an, der Wagen fuhr fort. Ich sah ihm nach, wie man vom Schiff noch einmal auf einen Strand zurückblickt, an dem man glücklich gewesen.
    Einen Augenblick stand ich so träumerisch und ratlos mitten in der murmelnden, lachenden, musiküberwogten Menge: es mochte etwa sieben Uhr sein, und unwillkürlich bog ich hinüber zum Sachergarten, wo ich sonst immer nach der Praterfahrt in Gesellschaft zu speisen pflegte und in dessen Nähe der Fiaker mich wohl bewußt abgesetzt hatte. Aber kaum daß ich die Gitterklinke des vornehmen Gartenrestaurants berührte, überfiel mich eine Hemmung: nein, ich wollte noch nicht in meine Welt zurück, nicht mir in lässigem Gespräch diese wunderbare Gärung, die mich geheimnisvoll erfüllte, wegschwemmen lassen, nicht mich loslösen von der funkelnden Magie des Abenteuers, der ich mich seit Stunden verkettet fühlte.
    Von irgendwoher dröhnte dumpfe verworrene Musik, und unwillkürlich ging ich ihr nach, denn alles lockte mich heute, ich empfand es als Wollust, dem Zufall ganz nachzugeben, und dies dumpfe Hingetriebenseininmitten einer weich wogenden Menschenmenge hatte einen phantastischen Reiz. Mein Blut gärte auf in diesem dicken quirlenden Brei heißer menschlicher Masse: aufgespannt war ich mit einemmal, angereizt und gesteigert wach in allen Sinnen von diesem beizend qualmigen Duft von Menschenatem, Staub, Schweiß und Tabak. Denn all dies, was mich vordem, ja selbst gestern noch, als ordinär, gemein und plebejisch abgestoßen, was der soignierte Gentleman in mir ein Leben lang hochmütig gemieden hatte, das zog meinen neuen Instinkt magisch an, als empfände ich zum erstenmal im Animalischen, im Triebhaften, im Gemeinen eine Verwandtschaft mit mir selbst. Hier im Abhub der Stadt, zwischen Soldaten, Dienstmädchen, Strolchen, fühlte ich mich in einer Weise wohl, die mir ganz unverständlich war: ich sog die Beize dieser Luft irgendwie gierig ein, das Schieben und Pressen in eine geknäulte Masse war mir angenehm, und mit einer wollüstigen Neugier wartete ich, wohin diese Stunde mich Willenlosen schwemmte. Immer näher gellten und schmetterten vom Wurstelprater her die Tschinellen und die weiße Blechmusik, in einer fanatisch monotonen Art stampften die Orchestrions harte Polkas und rumpelnde Walzer, dazwischen knatterten dumpfe Schläge

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