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Der Amokläufer

Der Amokläufer

Titel: Der Amokläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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aus den Buden, zischte Gelächter, grölten trunkene Schreie, und jetzt sah ich schon mit irrsinnigen Lichtern die Karusselle meiner Kindheit zwischen den Bäumen kreisen. Ich blieb mitten aus dem Platze stehen und ließ den ganzen Tumult in mich einbranden, mir Augen und Ohren vollschwemmen: diese Kaskaden von Lärm, das Infernalische dieses Durcheinander tat mir wohl, denn in diesemWirbel war etwas, das mir den innern Schwall betäubte. Ich sah zu, wie mit geblähten Kleidern die Dienstmädchen sich auf den Hutschen mit kollernden Lustschreien, die gleichsam aus ihrem Geschlecht gellten, in den Himmel schleudern ließen, wie Metzgergesellen lachend schwere Hämmer auf die Kraftmesser hinkrachten, Ausrufer mit heisern Stimmen und affenhaften Gebärden über den Lärm der Orchestrions schreiend hinwegruderten, und wie alles dies sich quirlend mengte mit dem tausendgeräuschigen, unablässig bewegten Dasein der Menge, die trunken war vom Fusel der Blechmusik, dem Flirren des Lichts und von der eigenen warmen Lust ihres Beisammenseins. Seit ich selber wach geworden war, spürte ich auf einmal das Leben der andern, ich spürte die Brunst der Millionenstadt, wie sie sich heiß und aufgestaut in die paar Stunden des Sonntags ergoß, wie sie sich aufreizte an der eigenen Fülle zu einem dumpfen, tierischen, aber irgendwie gesunden und triebhaften Genuß. Und allmählich spürte ich vom Angeriebensein, von der unausgesetzten Berührung mit ihren heißen leidenschaftlich drängenden Körpern ihre warme Brunst selbst in mich übergehen: meine Nerven strafften sich, ausgebeizt von dem scharfen Geruch, aus mir heraus, meine Sinne spielten taumelig mit dem Getöse und empfanden jene verwirrte Betäubung, die mit jeder starken Wollust unweigerlich gemengt ist. Zum erstenmal seit Jahren, vielleicht überhaupt in meinem Leben, spürte ich die Masse, spürte ich Menschen als eine Macht, von der Lust in mein eigenes, abgeschiedenes Wesen überging: irgendein Damm war zerrissen, und von meinen Aderngings hinüber in diese Welt, strömte es rhythmisch zurück, und eine ganz neue Gier überkam mich, noch jene letzte Kruste zwischen mir und ihnen abzuschmelzen, ein leidenschaftliches Verlangen nach Paarung mit dieser heißen, fremden, drängenden Menschheit. Mit der Lust des Mannes sehnte ich mich in den quellenden Schoß dieses heißen Riesenkörpers hinein, mit der Lust des Weibes war ich aufgetan jeder Berührung, jedem Ruf, jeder Lockung, jeder Umfassung – und nun wußte ichs, Liebe war in mir und Bedürfnis nach Liebe wie nur in den zwielichthaften Knabentagen. Oh, nur hinein, hinein ins Lebendige, irgendwie verbunden sein mit dieser zuckenden, lachenden, aufatmenden Leidenschaft der andern, nur einströmen, sich ergießen in ihren Adergang; ganz klein, ganz namenlos werden im Getümmel, eine Infusorie bloß sein im Schmutz der Welt, ein lustzitterndes, funkelndes Wesen im Tümpel mit den Myriaden aber nur hinein in die Fülle, hinab in den Kreisel, mich abschießen wie einen Pfeil von der eigenen Gespanntheit ins Unbekannte, in irgendeinen Himmel der Gemeinsamkeit.
    Ich weiß es jetzt: ich war damals trunken. In meinem Blute brauste alles zusammen, das Hämmern der Glocken von den Karussells, das seine Lustlachen der Frauen, das unter dem Zugriff der Männer aufsprühte, die chaotische Musik, die flirrenden Kleider. Spitz fiel jeder einzelne Laut in mich und flimmerte dann noch einmal rot und zuckend an den Schläfen vorbei, ich spürte jede Berührung, jeden Blick mit einer phantastischen Aufgereiztheit der Nerven (so wie bei der Seekrankheit), aberdoch alles gemeinsam in einem taumeligen Verbundensein. Ich kann meinen komplizierten Zustand unmöglich mit Worten ausdrucken, am ehesten gelingt es noch vielleicht mit einem Vergleiche: wenn ich sage, ich war überfüllt mit Geräusch, Lärm, Gefühl, überheizt wie eine Maschine, die mit allen Rädern rasend rennt, um dem ungeheuren Druck zu entlaufen, der ihr im nächsten Augenblicke schon den Brustkessel sprengen muß. In den Fingerspitzen zuckte, in den Schläfen pochte, in der Kehle preßte, an den Schläfen würgte das angehitzte Blut – von einer jahrelangen Lauheit des Gefühls war ich mit einemmal in ein Fieber gestürzt, das mich verbrannte. Ich fühlte, daß ich mich jetzt auftun müßte, aus mir heraus mit einem Wort, mit einem Blick, mich mitteilen, mich ausströmen, mich weggeben, mich hingeben, mich gemein machen, mich lösen, – irgendwie retten aus dieser harten

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