Der Amokläufer
sofort eine Luftschicht von Feindlichkeit und Verwirrung um mich legte. Und dieses Schweigen der fünf Leute drosselte mich immer tiefer nieder auf den Tisch, dessen rote Karrees ich mit einer verbissenen Verzweiflung immer wieder abzählte, festgenagelt durch die Scham, plötzlich wieder aufzustehn, und doch wieder zu feige, den gepeinigten Blick aufzuheben. Es war eine Erlösung, als endlich der Kellner kam und das schwere Bierglas vor mich hinstellte. Da konnte ich endlich eine Hand regen und beim Trinken scheu über den Rand schielen: wirklich, alle fünf beobachteten mich, zwar ohne Haß, aber doch mit einer wortlosen Befremdung. Sie erkannten den Eindringling in ihre dumpfe Welt, sie fühlten mit dem naiven Instinkt ihrer Klasse, daß ich etwas hier wollte, hier suchte, was nicht zu meiner Welt gehörte, daß nicht Liebe, nicht Neigung, nicht die einfältige Freude am Walzer, am Bier, am geruhsamen Sonntagsitzen mich hertrieb, sondern irgendein Gelüst, das sie nicht verstanden und dem sie mißtrauten, so wie der Junge vor dem Karussell meinem Geschenk mißtraut hatte, wie die tausend Namenlosen da draußen im Gewühl meiner Eleganz, meiner Weltmännischkeit inunbewußter Feindlichkeit ausbogen. Und doch fühlte ich: fände ich jetzt ein argloses, einfaches, herzliches, ein wahrhaft menschliches Wort der Anrede zu ihnen, so würde der Vater oder die Mutter mir antworten, die Töchter geschmeichelt zulächeln, ich könnte mit dem Jungen hinüber in eine Bude schießen gehen und kindlichen Spaß mit ihm treiben. In fünf, in zehn Minuten würde ich erlöst sein von mir, eingehüllt in die arglose Atmosphäre bürgerlichen Gesprächs, gern gewährter und sogar geschmeichelter Vertraulichkeit – aber dies einfache Wort, diesen ersten Ansatz im Gespräch, ich fand ihn nicht, eine falsche, törichte, aber übermächtige Scham würgte mir die Kehle, und ich saß mit gesenktem Blick wie ein Verbrecher an dem Tisch dieser einfachen Menschen, gehüllt in die Qual, ihnen mit meiner verbissenen Gegenwart noch die letzte Stunde des Sonntags verstört zu haben. Und in diesem hingebohrten Hinsitzen büßte ich all die Jahre gleichgültigen Hochmuts, an denen ich an abertausend solchen Tischen, an Millionen und Millionen brüderlicher Menschen ohne Blick vorübergegangen war, einzig beschäftigt mit Gunst oder Erfolg in jenem engen Kreise der Eleganz, und ich spürte, daß mir der gerade Weg, die unbefangene Sprache zu ihnen, jetzt, da ich ihrer in der Stunde meines Ausgestoßenseins bedurfte, von innen vermauert war.
So saß ich, ein freier Mensch bisher, qualvoll in mich geduckt, immer wieder die roten Karrees am Tischtuch abzählend, bis endlich der Kellner vorbeikam. Ich rief ihn an, zahlte, stand von dem kaum angetrunkenen Bierglase auf, grüßte höflich. Man dankte mir freundlichund erstaunt: ich wußte, ohne mich umzuwenden, daß jetzt, kaum daß ich ihnen den Rücken zeigte, das Lebendig-Heitere sie wieder überkommen, der warme Kreis des Gesprächs sich schließen würde, sobald ich, der Fremdkörper, ausgestoßen war.
Wieder warf ich mich, aber nun noch gieriger, heißer und verzweifelter, in den Wirbel der Menschen zurück. Das Gedränge war inzwischen lockerer geworden unter den Bäumen, die schwarz in den Himmel überfluteten, es drängte und quirlte nicht mehr so dicht und strömend in den Lichtkreis der Karussells, sondern schwirrte nur schattenhaft mehr am äußersten Rand des Platzes. Auch der brausende, tiefe, gleichsam lustatmende Ton der Menge zerstückte sich in viele kleine Geräusche, die immer gleich hingeschmettert wurden, wenn jetzt die Musik irgendwo gewaltig und rabiat einsetzte, als wollte sie die Fliehenden noch einmal heranreißen. Eine andere Art Gesichter tauchte jetzt auf: die Kinder mit ihren Ballons und Papierkoriandolis waren schon nach Hause gegangen, auch die breithinrollenden sonntäglichen Familien hatten sich verzogen. Nun sah man schon Betrunkene johlen, verlotterte Burschen mit lungerndem und doch suchendem Gang sich aus den Seitenalleen vorschieben: es war in der einen Stunde, in der ich festgenagelt vor dem fremden Tische gesessen, diese seltsame Welt mehr ins Gemeine hinabgeglitten. Aber gerade jene phosphoreszierende Atmosphäre von Frechheit und Gefährlichkeit gefiel mir irgendwie besser als die bürgerlichsonntägliche von vordem. Der in mir aufgereizte Instinkt witterte hier ähnliche Gespanntheit der Begier; indem vortreibenden Schlendern dieser fragwürdigen Gestalten,
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