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Der Amokläufer

Der Amokläufer

Titel: Der Amokläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Kruste von Schweigen, die mich absonderte von dem warmen, flutenden, lebendigen Element. Seit Stunden hatte ich nicht gesprochen, niemandes Hand gedrückt, niemandes Blick fragend und teilnehmend gegen den meinen gespürt, und nun staute, unter dem Sturz der Geschehnisse, sich diese Erregung gegen das Schweigen. Niemals, niemals hatte ich so sehr das Bedürfnis nach Mitteilsamkeit, nach einem Menschen gehabt, als jetzt, da ich inmitten von Tausenden und Zehntausenden wogte, rings angespült war von Wärme und Worten, und doch abgeschnürt von dem kreisenden Adergang dieser Fülle. Ich war wie einer, der auf dem Meere verdurstet. Und dabei sah ich, diese Qual mit jedem Blick mehrend, wie rechts und links in jeder Sekunde Fremdes sichanstreifend band, die Quecksilberkügelchen gleichsam spielend zusammenliefen. Ein Neid kam mich an, wenn ich sah, wie junge Burschen im Vorübergehen fremde Mädchen ansprachen und sie nach dem ersten Wort schon unterfaßten, wie alles sich fand und zusammentat: ein Gruß beim Karussell, ein Blick im Anstreifen genügte schon, und Fremdes schmolz in ein Gespräch, vielleicht um sich wieder zu lösen nach ein paar Minuten, aber doch es war Bindung, Vereinigung, Mitteilung, war das, wonach alle meine Nerven jetzt brannten. Ich aber, gewandt im gesellschaftlichen Gespräch, beliebter Causeur und sicher in den Formen, ich verging vor Angst, ich schämte mich, irgendeines dieser breithüftigen Dienstmädchen anzureden, aus Furcht, sie möchte mich verlachen, ja ich schlug die Augen nieder, wenn jemand mich zufällig anschaute, und verging doch innen vor Begierde nach dem Wort. Was ich wollte von den Menschen, war mir ja selbst nicht klar, ich ertrug es nur nicht länger, allein zu sein und an meinem Fieber zu verbrennen. Aber alle sahen an mir vorbei, jeder Blick strich mich weg, niemand wollte mich spüren. Einmal trat ein Bursch in meine Nähe, zwölfjährig, mit zerlumpten Kleidern: sein Blick war grell erhellt vom Widerschein der Lichter, so sehnsüchtig starrte er auf die schwingenden Holzpferde. Sein schmaler Mund stand offen wie lechzend: offenbar hatte er kein Geld mehr, um mitzufahren, und sog nur Lust aus dem Schreien und Lachen der andern. Ich stieß mich gewaltsam heran an ihn und fragte – aber warum zitterte meine Stimme so dabei und war ganz grell überschlagen? –: »Möchten Sie nicht auch einmal mitfahren?« Er starrte auf, erschrak –warum? warum? – wurde blutrot und lief fort, ohne ein Wort zu sagen. Nicht einmal ein barfüßiges Kind wollte eine Freude von mir: es mußte, so fühlte ich, etwas furchtbar Fremdes an mir sein, daß ich nirgends mich einmengen konnte, sondern abgelöst in der dicken Masse schwamm wie ein Tropfen Öl auf dem bewegten Wasser.
    Aber ich ließ nicht nach: ich konnte nicht länger allein bleiben. Die Füße brannten mir in den bestaubten Lackschuhen, die Kehle war verrostet vom aufgewühlten Qualm. Ich sah mich um: rechts und links zwischen den strömenden Menschengassen standen kleine Inseln von Grün, Gastwirtschaften mit roten Tischtüchern und nackten Holzbänken, auf denen die kleinen Bürger saßen mit ihrem Glas Bier und der sonntäglichen Virginia. Der Anblick lockte mich: hier saßen Fremde beisammen, verknüpften sich im Gespräch, hier war ein wenig Ruhe im wüsten Fieber. Ich trat ein, musterte die Tische, bis ich einen fand, wo eine Bürgerfamilie, ein dicker, vierschrötiger Handwerker mit seiner Frau, zwei heitern Mädchen und einem kleinen Jungen saß. Sie wiegten die Köpfe im Takt, scherzten einander zu, und ihre zufriedenen, leichtlebigen Blicke taten mir wohl. Ich grüßte höflich, rührte an einen Sessel und fragte, ob ich Platz nehmen dürfe. Sofort stockte ihr Lachen, einen Augenblick schwiegen sie (als wartete jeder, daß der andere seine Zustimmung gebe), dann sagte die Frau, gleichsam betroffen: »Bitte! Bitte!« Ich setzte mich hin und hatte gleich das Gefühl, daß ich mit meinem Hinsetzen ihre ungenierte Laune zerdrückte, denn sofort lag um den Tisch herum einungemütliches Schweigen. Ohne daß ich es wagte, die Augen von dem rotkarierten Tischtuch, auf dem Salz und Pfeffer schmierig verstreut zu sehen war, zu heben, spürte ich, daß sie mich alle befremdet beobachteten, und sofort fiel mir – zu spät! – ein, daß ich zu elegant war für dieses Dienstbotengasthaus mit meinem Derbydreß, dem Pariser Zylinder und der Perle in meiner taubengrauen Krawatte, daß meine Eleganz, das Parfüm von Luxus auch hier

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