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Der Amokläufer

Der Amokläufer

Titel: Der Amokläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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dieser Ausgestoßenen der Gesellschaft, empfand ich mich irgendwie gespiegelt: auch sie wilderten doch mit einer unruhigen Erwartung hier nach einem flackernden Abenteuer, einer raschen Erregung, und selbst sie, diese zerlumpten Burschen, beneidete ich um die offene, freie Art ihres Streifens; denn ich stand an die Säule eines Karussells atmend gepreßt, ungeduldig, den Druck des Schweigens, die Qual meiner Einsamkeit aus mir zu stoßen und doch unfähig einer Bewegung, eines Anrufs, eines Worts. Ich stand nur und starrte hinaus auf den Platz, der vom Reflex der kreisenden Lichter zuckend erhellt war, stand und starrte von meiner Lichtinsel ins Dunkel hinein, töricht erwartungsvoll jeden Menschen anblickend, der vom grellen Schein angezogen für einen Augenblick sich herwandte. Aber jedes Auge glitt kalt an mir ab. Niemand wollte mich, niemand erlöste mich.
    Ich weiß, es wäre wahnwitzig, jemandem schildern oder gar erklären zu wollen, daß ich, ein kultivierter eleganter Mann der Gesellschaft, reich, unabhängig, mit den Besten einer Millionenstadt befreundet, eine ganze Stunde in jener Nacht am Pfosten eines verstimmt quiekenden, rastlos sich schwingenden Praterkarussells stand, zwanzig, vierzig, hundertmal dieselbe stolpernde Polka, denselben schleifenden Walzer mit denselben idiotischen Pferdeköpfen aus bemaltem Holz an mir vorüberkreisen ließ und aus verbissenem Trotz, aus einem magischen Gefühl, das Schicksal in meinen Willen zu zwingen, nicht mich von der Stelle rührte. Ich weiß, daß ich sinnlos handelteln jener Stunde, aber in dieser sinnlosen Beharrung war eine Spannung des Gefühls, eine so stählerne Ankrampfung aller Muskeln, wie sie Menschen sonst vielleicht nur bei einem Absturz fühlen, knapp vor dem Tod, mein ganzes, leer vorbeigelaufenes Leben war plötzlich zurückgeflutet und staute sich bis hinauf zur Kehle. Und so sehr ich gequält war von meinem sinnlosen Wahn, zu bleiben, zu verharren, bis irgendein Wort, ein Blick eines Menschen mich erlöse, so sehr genoß ich diese Qual. Ich büßte etwas in diesem Stehen an dem Pfahl, nicht jenen Diebstahl so sehr, als das Dumpfe, das Laue, das Leere meines früheren Lebens: und ich hatte mir geschworen, nicht früher zu gehen, bis mir ein Zeichen gegeben war, das Schicksal mich freigegeben.
    Und je mehr jene Stunde fortschritt, um so mehr drängte die Nacht sich heran. Eines nach dem andern losch in den Buden das Licht und immer stürzte dann wie eine steigende Flut das Dunkel vor, schluckte den lichten Fleck auf dem Rasen ein: immer einsamer war die helle Insel, auf der ich stand, und schon sah ich zitternd auf die Uhr. Eine Viertelstunde noch, dann würden die scheckigen Holzpferde stillestehn, die roten und grünen Glühlampen aus ihren einfältigen Stirnen abknipsen, das geblähte Orchestrion aufhören zu stampfen. Dann würde ich ganz im Dunkel sein, ganz allein hier ln der leise rauschenden Nacht, ganz ausgestoßen, ganz verlassen. Immer unruhiger blickte ich über den dämmernden Platz, über den nur ganz selten mehr ein heimkehrendes Pärchen eilig strich oder ein paar Burschen betrunken hintaumelten: quer drüben aber in den Schatten zitterte nochverstecktes Leben, unruhig und aufreizend. Manchmal pfiff oder schnalzte es leise, wenn ein paar Männer vorüberkamen. Und bogen sie dann, gelockt von dem Anruf, hin zum Dunkel, so zischelten in den Schatten Frauenstimmen, und manchmal warf der Wind abgerissene Fetzen grellen Lachens herüber. Und allmählich schob sichs um den Rand des Dunkels frecher hervor, gegen den Lichtkegel des erhellten Platzes, um sofort wieder in die Schwärze zurückzutauchen, sobald im Vorübergehen die Pickelhaube eines Schutzmannes im Reflex der Laterne schimmerte. Aber kaum daß er weiterging auf seiner Runde, waren die gespenstigen Schatten wieder da, und jetzt konnte ich sie schon deutlich im Umriß sehen, so nahe wagten sie sich ans Licht, der letzte Abhub jener nächtigen Welt, der Schlamm, der zurückblieb, nun da sich der flüssige Menschenstrom verlaufen: ein paar Dirnen, jene ärmsten und ausgestoßensten, die keine eigene Bettstatt haben, tags auf einer Matratze schlafen und nachts ruhlos streifen, die ihren abgebrauchten, geschändeten, magern Körper jedem für ein kleines Silberstück hier irgendwo im Dunkel auftaten, umspürt von der Polizei, getrieben von Hunger oder irgendeinem Strolch, immer im Dunkel streifend, jagend und gejagt zugleich. Wie hungrige Hunde schnupperten sie allmählich vor zu

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