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Der Amokläufer

Der Amokläufer

Titel: Der Amokläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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dem erhellten Platz nach irgend etwas Männlichem, nach einem vergessenen Nachzügler, dem sie seine Lust ablocken könnten für eine Krone oder zwei, um sich dann einen Glühwein zu kaufen in einem Volkskaffee und den trüb flackernden Stumpf Leben sich zu erhalten, der ja ohnehin bald auslöscht in einem Spital oder einem Gefängnis.Der Abhub war dies, die letzte Jauche von der hochgequollenen Sinnlichkeit der sonntäglichen Masse – mit einem grenzenlosen Grauen sah ich nun aus dem Dunkel diese hungrigen Gestalten geistern. Aber auch in diesem Grauen war noch eine magische Lust, denn selbst in diesem schmutzigsten Spiegel erkannte ich Vergessenes und dumpf Gefühltes wieder: hier war eine tiefe, sumpfige Welt, die ich vor Jahren längst durchschritten und die nun phosphoreszierend mir wieder in die Sinne funkelte. Seltsam, was diese phantastische Nacht mir plötzlich entgegenhielt, wie sie mich Verschlossenen plötzlich auffaltete, daß das Dunkelste meiner Vergangenheit, das Geheimste meines Triebes in mir nun offen lag! Dumpfes Gefühl stieg auf verschütteter Knabenjahre, wo scheuer Blick neugierig angezogen und doch feig verstört an solchen Gestalten gehaftet, Erinnerung an die Stunde, wo man zum erstenmal auf knarrender, feuchter Treppe einer hinaufgefolgt war in ihr Bett – und plötzlich, als ob Blitz einen Nachthimmel zerteilt hätte, sah ich scharf jede Einzelheit jener vergessenen Stunde, den flachen Öldruck über dem Bett, das Amulett, das sie auf dem Halse trug, ich spürte jede Fiber von damals, die ungewisse Schwüle, den Ekel und den ersten Knabenstolz. All das wogte mir mit einem Male durch den Körper. Eine Hellsichtigkeit ohne Maß strömte plötzlich in mich ein, und – wie soll ich das sagen können, dies Unendliche! – ich verstand mit einemmal alles, was mich mit so brennendem Mitleid jenen verband, gerade weil sie der letzte Abschaum des Lebens waren, und mein von dem Verbrechen einmal angereizter Instinkt spürte von innenheraus dieses hungrige Lungern, das dem meinen in dieser phantastischen Nacht so ähnlich war, dies verbrecherische Offenstehn jeder Berührung, jeder fremden zufällig anstreifenden Lust. Magnetisch zog es mich hin, die Brieftasche mit dem gestohlenen Geld brannte plötzlich heiß über der Brust, wie ich da drüben endlich Wesen, Menschen, Weiches, Atmendes, Sprechendes spürte, das von andern Wesen, vielleicht auch von mir, etwas wollte, von mir, der nur wartete, sich wegzugeben, der verbrannte in seiner rasenden Willigkeit nach Menschen. Und mit einmal verstand ich, was Männer zu solchen Wesen treibt, verstand, daß es selten nur Hitze des Blutes ist, ein schwellender Kitzel ist, sondern meist bloß die Angst vor der Einsamkeit, vor der entsetzlichen Fremdheit, die sonst zwischen uns sich auftürmt und die mein entzündetes Gefühl heute zum erstenmal fühlte. Ich erinnerte mich, wann ich zum letztenmal dies dumpf empfunden: in England war es gewesen, in Manchester, einer jener stählernen Städte, die in einem lichtlosen Himmel von Lärm brausen wie eine Untergrundbahn und die doch gleichzeitig einen Frost von Einsamkeit haben, der durch die Poren bis ins Blut dringt. Drei Wochen hatte ich dort bei Verwandten gelebt, abends immer allein irrend durch Bars und Klubs und immer wieder in die glitzernde Musikhall, nur um etwas menschliche Wärme zu spüren. Und da eines Abends hatte ich so eine Person gefunden, deren Gassenenglisch ich kaum verstand, aber plötzlich war man in einem Zimmer, trank Lachen von einem fremden Mund, ein warmer Körper war da, irdisch nahe und weich. Plötzlich schmolzsie weg, die kalte schwarze Stadt, der finstere lärmende Raum von Einsamkeit, irgendein Wesen, das man nicht kannte, das nur dastand und wartete auf jeden, der kam, löste einen auf, ließ allen Trost Wegtauen: man atmete wieder frei, spürte Leben in leichter Helligkeit inmitten des stählernen Kerkers. Wie wunderbar war das für die Einsamen, die Abgesperrten in sich selbst, dies zu wissen, dies zu ahnen, daß ihrer Angst immer doch irgendein Halt ist, sich festzuklammern an ihn, mag er auch überschmutzt sein von vielen Griffen, starrend von Alter, zerfressen von giftigem Rost. Und dies, gerade dies hatte ich vergessen in der Stunde der untersten Einsamkeit, aus der ich taumelnd ausstieg in dieser Nacht, daß irgendwo an einer letzten Ecke immer diese Letzten noch warten, jede Hingabe in sich aufzufangen, jede Verlassenheit an ihrem Atem ausruhen zu lassen, jede Hitze zu

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