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Der andere Tod

Der andere Tod

Titel: Der andere Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Jonuleit
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Neonröhre leuchtete unbarmherzig auch das winzigste Fältchen auf meinem Gesicht aus. Da stand ich in meiner ganzen Niedertracht. Ein Mann, der seine Frau missbraucht hatte. Mehr noch: Ich hatte sie in den Selbstmord getrieben.
    Wie die Blonde mich angesehen hatte! Wissend und mit kaum verhohlener Verachtung.
    Auf dem Weg zurück zur Intensivstation taumelte ich ein wenig. Die Frage nach Nahrungsaufnahme drängte sich auf. Der Körper forderte sein Recht, egal, was um ihn herumgeschah. Die Fenster im Korridor waren weit geöffnet, und dennoch regte sich kein Lüftchen. Der Himmel konnte sich noch immer nicht entscheiden.
    An der Tür des Krankenzimmers stand ein Mann und redete mit der Schwester. Im Näherkommen erkannte ich Hürli. Und da fiel mir auch wieder unsere Verabredung ein. Ich sah auf die Uhr – es war halb sechs. Als die Schwester mich erblickte, sagte sie schnell noch etwas zu Hürli, deutete auf mich und entfernte sich.
    Hürlis Händedruck war kurz und fest, sein Blick prüfend, wobei er offenbar denselben Eindruck von meiner äußeren Erscheinung gewann wie ich selbst vor dem Toilettenspiegel. Ich sah ja tatsächlich aus wie ein Wrack.
    »Ich glaube, Sie könnten einen meiner Tees gebrauchen«, eröffnete Hürli das Gespräch diplomatisch.
    Ich nickte nur. Zu mehr war ich nicht fähig.
    »Tja, ein Kaffee in der Krankenhauscafeteria muss heute genügen«, fuhr er fort, drückte meine Schulter sanft und bugsierte mich in die Richtung, in der die Fahrstühle lagen. Wir fuhren hinunter ins Tiefparterre, wo laut der Beschilderung im Fahrstuhl die Cafeteria bis 18   Uhr ihre Pforten geöffnet hielt. Hürli geleitete mich zu einem der weißen Resopaltische am Fenster, rückte einen Stuhl für mich zurück und drückte mich hinein. Dann verschwand er hinter dem Buffet. Er kam zurück mit zwei überdimensionalen Bechern Kaffee und einem belegten Baguettebrötchen, aus dem Salatblätter herausragten. Vor langer Zeit waren sie sicher einmal erntefrisch gewesen.
    »Das war leider das Einzige, was noch da war. Aber so, wie Sie aussehen, erschien mir der Zeitpunkt unpasssend, wählerisch zu sein.« Er stellte das orangerote Tablett ab, befreite das Brötchen aus seiner Zellophanhülle und drückte es mir in die Hand.
    Ich wollte protestieren, überzeugt, dass ich keinen Bissen hinunterbringen würde. Doch dann warf ich einen raschen Blick auf Hürli. Er war gerade damit beschäftigt, vier kleine runde, mit Alpenblumen dekorierte Kondensmilchdöschen aufzuziehen und den Inhalt in seinen Becher zu kippen. Dabei ließ er mich keine Sekunde aus den Augen. Als er mir auch noch begütigend zublinzelte, gab ich mich geschlagen. Ich biss in das Brötchen.
    Es hatte die Konsistenz von Gummi, aber ich spürte nun überdeutlich, wie ausgehungert ich war. Gierig schlang ich alles in mich hinein. Hürli ließ ungefragt den Inhalt von vier Tütchen Zucker in meinen Kaffeebecher rieseln. Dann kippte er ebenso viele Döschen Milch hinein und rührte, bis der hellbraune Zaubertrank fertig war. Dankbar nahm ich gleich einen großen Schluck.
    Wir saßen in einträchtigem Schweigen beieinander, bis ich etwa die Hälfte des Bechers getrunken hatte. Das schien Hürli zum Zeichen zu nehmen.
    »Ihre Frau?«
    »Immer noch im Koma.«
    »Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Aber ich wollte Ihnen das nicht am Telefon sagen.«
    Ich nahm wieder einen Schluck und wartete, dass er weitersprechen würde.
    »Lewinsky. Ich … habe mich an seine Fährte geheftet. Zuerst war ich beim Hausverwalter und bei ein paar Hausbewohnern. Es ist in der Tat so, dass ihn schon länger keiner mehr gesehen hat. Ich fand es wichtig, den Zeitpunkt genauer zu bestimmen. Herausgekommen ist: Lewinsky war seit über zwei Jahren bei keiner Mieterversammlung mehr. Die laufenden Kosten für seine Wohnung wie Wasser, Strom etc. sind auf ein Minimum geschrumpft. Der Verdacht liegt nahe, dass die Wohnung höchstens noch einZweitwohnsitz ist. Alle Daueraufträge laufen jedenfalls weiter und die Zahlungen gehen pünktlich ein.«
    Hürli senkte die Stimme, weil zwei Männer sich anschickten, am Nebentisch Platz zu nehmen. Gedämpfter fuhr er fort: »Zuletzt hat ihn eine alleinstehende Dame aus seinem Haus gesehen. Sie erinnert sich so genau an das Datum, weil sie an diesem Tag im Tierheim gewesen war und sich einen Hund mit nach Hause geholt hatte. Herr Lewinsky und sie hätten sich über das Tier unterhalten.«
    Hürli verstummte erneut und warf einen unauffälligen, aber

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