Der andere Tod
wie schwer es ihm fiel, darüber zu sprechen. »Ja, also … Sie hatten damals doch dieses … Alkoholproblem.«
Da war sie wieder, diese Fratze, die mich hämisch angrinste. Und mit König Alkohol tanzte. Sie winkte mir von Weitem zu. Aus Prag, um genau zu sein. Jaro und Zuzana, Anouk. Jener Abend in Prag.
»Ich glaube, er hat Ihnen leid getan. Weil Sie doch was Ähnliches durchmachen mussten.«
»Wie meinen Sie das?«
Er starrte vor sich hin und knetete seine Finger. »Ja, wissen Sie das denn nicht mehr?«
Langsam schüttelte ich den Kopf und erwiderte: »Par tielle Amnesie. Das haben Sie doch längst bemerkt!« Die Stimme versagte mir.
Da sah Wenzlow auf: »Also gut. Auch wenn ich versprochen habe, niemals darüber zu sprechen.«
»Sie hatten versprochen …?«
»Ja. Anouk bat mich darum. Sie sagte: ›um unser aller Frieden willen‹. Aber nun ist ja sowieso alles anders.«
Und Wenzlow begann zu erzählen: »Es muss eineinhalb Jahre vor dem Brand gewesen sein. Da haben Sie doch diese Entziehungskur gemacht. Na ja, damals waren Sie sechs Monate in Bad Schussenried, zunächst zur dreiwöchigen Entgiftung. Anouk bat mich, darüber Stillschweigen zu bewahren. Es war ihr wohl unangenehm, um Ihretwillen. Und so haben wir hier in der Firma offiziell von einem Herzinfarkt mit anschließender Reha gesprochen. Ehrlich gesagt wird uns das wohl nicht jeder geglaubt haben.«
Wenzlow verstummte. Vielleicht schalt er sich innerlich dafür, schon zu viel gesagt zu haben. Er hob die Hand, wie um mich tröstlich am Arm zu berühren, ließ sie dann jedoch jäh sinken.
»Und was gibt es noch?« Meine Stimme klang so unendlich müde.
»Es war an dem Freitag, als Sie Inventur machten. Der Freitag des Brandes. Ich war gerade auf dem Weg zu Ihrem Büro, weil ich Ihnen noch ein paar Unterlagen bringen wollte, bevor ich Feierabend machen würde. Wir waren die Einzigen, die sich zu dem Zeitpunkt in der Firma aufhielten. Und da habe ich plötzlich durch die geschlosseneBürotür gehört, dass Sie in ziemlicher Lautstärke irgendetwas sagten. Im ersten Moment war ich unschlüssig, ob ich umkehren oder klopfen sollte. Und bevor ich mich entscheiden konnte, sprachen Sie weiter. Jetzt verstand ich deutlich, was Sie sagten – na ja, es war auch wirklich kaum zu überhören. Ganz aufgebracht brüllten Sie: ›Soll das eine Drohnung sein?‹
Es war mir fürchterlich peinlich, diese Szene durch die Tür mitzubekommen. Gleichzeitig war ich beunruhigt wegen der heftigen Aggression in Ihrer Stimme. Ich machte schleunigst kehrt. Als ich gerade an der Tür zu meinem Büro ankam, sind Sie wie der Blitz an mir vorbeigeschossen. Ihr Gesicht war kreidebleich.«
»Und dann?«
»Das war alles. Nun endlich bin ich in Ihr Büro gegangen, habe die Unterlagen auf Ihren Schreibtisch gelegt und mich anschließend auf den Heimweg gemacht. Von dem Brand habe ich dann von Ihrer Frau gehört.«
»Wenn ich Sie recht verstanden habe, bin ich vor Ihnen weggegangen? Aber das hieße ja, dass ich später noch einmal zurückgekommen wäre.«
»Na ja, daran ist nichts Außergewöhnliches. Sie haben oft bis in die Nacht hinein da gesessen. Zudem war Inventur. Am Sonntagabend nach dem Brand hat mich Ihre Frau aus dem Krankenhaus angerufen. Zum Glück ist sie ja nur leicht verletzt worden. Sie hat mir alles erzählt. Sie war noch völlig durcheinander. Unter Tränen hat sie berichtet, dass sie Sie an dem Unglücksabend in der Firma abholen wollte. Sie hatte wohl einen Tisch in einem Restaurant reserviert, Gott sei Dank, kann man da nur sagen. Denn sonst, ich meine, wenn Ihre Frau nicht gekommen wäre, dann …«
Wenzlow musste bemerkt haben, dass ich schwer damitbeschäftigt war, all seine Informationen zu sortieren. Welch ein Chaos in meinem Kopf!
Ich erinnerte mich einfach nicht. Nicht an den Brand, nicht daran, wie Anouk mich herausgezogen hatte, nicht an das Telefonat, das ich – mit wem bitteschön? – geführt hatte.
Ob dieses Telefongespräch der Schlüssel zu allem war? Soviel war klar: Jemand hatte mir an jenem Abend gedroht. Und wenig später war die Lagerhalle in Flammen aufgegangen.
»Ein paar Wochen später hat sie mich gebeten, die Firmenleitung zu übernehmen. Ihre Frau hat mich von Kalifornien aus regelmäßig angerufen und mich über Ihre Fortschritte informiert. Im Grunde lief es ja nun genauso wie in den Monaten Ihrer Entziehungskur. Nur dass es nach dem Brand eben über zwei Jahre gedauert hat.
Ja, und als Sie dann wieder gesund
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