Der andere Tod
welchem Schluss würden sie kommen?
Jetzt griff Brandner noch einmal in den Kasten unter dem Tisch. Wie ein Zauberkünstler, der immer neue Überraschungen für ein staunendes Publikum bereithält.
Erst, als er den Gegenstand vor mir auf den Tisch legte, erkannte ich, was es war: Es war das Buch, das ich vor Wochen in Anouks Sekretär gefunden hatte –
Anouks Tagebuch
! Aus Rücksicht und auch aus einer natürlichen Scheu heraus hatte ich es damals schnell wieder zurückgelegt.
Grell und rot leuchtete es im Schein der Lampe und sein exotisches Äußeres stand in merkwürdigem Gegensatz zu diesem Raum mit seiner nüchternen, zweckmäßigen Möblierung.
Zunächst sagte keiner ein Wort. Schließlich brach die Blonde das Schweigen. »Kennen Sie dieses Buch?«
»Ja. Es gehört meiner Frau.«
»Wissen Sie, was für ein Buch das ist?«
»Es sieht aus wie ein Tagebuch.«
Die Blonde nickte, Brandner fragte: »Wie war Ihr Verhältnis?«
»Unser Verhältnis?«
»Ja. Wie war Ihre Ehe? Würden Sie sie als ›gut‹ bezeichnen? Als ›harmonisch‹?«
»Wir lieben uns.«
»Sie lieben sich.«
»Ja. Wir lieben uns.« Ich hörte selbst, wie bockig das klang. Kindisch und bockig. Aber warum begegneten sie mir auch mit so viel Skepsis, ja beinahe Verachtung?
»Haben Sie je einen Blick in dieses Buch geworfen?«
»Nein.«
»Wussten Sie, dass Ihre Frau Tagebuch führte?«
Was sollte ich darauf nun wieder antworten? Was auchimmer ich hervorbringen würde, sie konnten einfach
alles
gegen mich verwenden. Vielleicht sollte ich doch, auch wenn es sich lächerlich anhören würde, nach einem Anwalt verlangen?
Mir blieb keine Zeit zum Überlegen. Zu meinem großen Entsetzen klappte Brandner jetzt das Buch an einer bestimmten Stelle auf und schob es mir hin.
… kann ich mich immer noch zu keiner Entscheidung durchringen. Da sieht man wieder einmal, wie Geld die Welt regiert. Er hat es klug eingefädelt, damals, und ich habe nichts, nichts verstanden!
Und wenn ich heute ginge, hätte ich also nichts. Nicht das Haus, das allein ihm gehört, nicht das Prager Apartment. Und – was das Schlimmste wäre – ich müsste den Garten aufgeben.
Maman sagt, ich solle zu einem Rechtsanwalt gehen und mich beraten lassen. Da gäbe es eine Gesetzesänderung und trotz des Ehevertrags könne es nicht sein, dass ich nichts bekäme. Überhaupt, wenn Maman und Papa die Wahrheit wüssten! Ich erzähle ihnen ja bei Weitem nicht alles, aber ich glaube, sie ahnen, sie ahnen.
Und Tom! Er drängt mich, Max zu verlassen, es ihm endlich zu sagen. Doch was wäre dann? Ich liebe Tom, o ja, wie ich ihn liebe, aber ich habe auch Angst. Ich kann doch nicht einfach so umsatteln, von einer Beziehung in die nächste, von einer Abhängigkeit in die nächste.
Der einzige Weg ist, wie mir scheint, selbst wieder beruflich Fuß zu fassen. Doch wie viele Jahre ist es inzwischen her, dass ich »richtig« gearbeitet habe! Und die Kunden wachsen auch nicht einfach so auf den Bäumen. Und dann die Angst zu scheitern. Weil ich doch all meine Energie und Zeit in diesen Garten gesteckt habe und mit dem Übersetzen und Dolmetschen so gar nichts mehr am Hut habe. So einen Wiedereinstieg müsste manvon langer Hand vorbereiten,
ich
müsste
mich
von langer Hand vorbereiten.
Letzte Nacht war es wieder mal soweit. Er war ewig lang im Wohnzimmer und hat sich dort wahrscheinlich wieder einen von seinen Filmen angesehen. So wie neulich. Ich habe ja schon von der Treppe aus das Gestöhne und die wilden Schreie gehört. Wo er diese Filme bloß versteckt hält, dachte ich. Ich habe mal ein bisschen rumgesucht, aber nichts gefunden. Und dann bin ich darauf gekommen, dass er sich diesen Müll im Internet ansieht.
Es ekelt mich, es ekelt mich! Vor ihm und all diesen schmutzigen Typen, die sich so etwas reinziehen. Und als ich gestern schon glaubte, so davonzukommen, hörte ich ihn die Treppe hochkommen. Er hatte wieder diesen schweren Schritt, wie er ihn immer hat, wenn er trinkt.
Und dann stand er in der Tür, mit einem Lederriemen in der Hand. Er hat mich ans Bett gefesselt, mit Handschellen, und Unaussprechliches mit mir getan, so unaussprechlich, dass ich es noch nicht einmal hier niederschreiben kann.
Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte. Und was das Schlimmste ist, ich kann niemandem,
niemandem
davon erzählen. Denn was könnte man mir raten, als mich sofort, auf der Stelle, von ihm zu trennen!
Am allerwenigsten darf Tom die Wahrheit wissen. Der würde
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