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Der Andere

Der Andere

Titel: Der Andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian DeLeeuw
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Mänteln und Schirmmützen Claires Gepäckstücke aus dem Gebäude trugen. Koffer und Kisten waren edel verarbeitet, alle aus feinstem Leder mit eleganten Messingbeschlägen, goldenen Schnallen und mit Samt ausgeschlagen, auch wenn sie inzwischen alt und abgenutzt waren, das Leder rissig und das Metall blind. Der Saab war nicht groß, und die Wachmänner hatten Probleme, alles darin zu verstauen. Als der Kofferraum gefüllt war, machten sie mit der Rückbank weiter, die sie unter Claires Anweisung erst vollpackten, um sie dann wieder umzupacken, bis schließlich alles untergebracht war. »Gut«, stellte Claire fest, »das war ja schwieriger als gedacht.« Sie schmunzelte uns zu, wobei sich eine gewisse Verzagtheit, etwas Verzweifeltes gegen den Panzer ihres Lächelns warf.
    Luke besah sich das beladene Auto. »Aber wo soll Daniel sitzen?«
    Natürlich war ich davon ausgegangen, dass ich mitfuhr. Was sollte ich hier ganz allein in New York?
    »Ähm, ja.« Claire warf ihm einen kurzen Blick zu. Luke würde vorn bei seiner Mutter sitzen – daran bestand kein Zweifel –, und auf der Rückbank war nicht ein Millimeter mehr frei. »Wie wäre es mit dem Kofferraum?«, schlug Claire vor. »Im Kofferraum?«, protestierte ich. Wir gingen hinter das Auto. Inmitten der zusammengepferchten Koffer befand sich eine unregelmäßig geformte Lücke, zu unförmig für ein Gepäckstück, vielleicht aber gerade groß genug für mich, wenn ich mich zu einer Kugel zusammenrollen würde.
    »Meinst du, er kann dort sitzen?«, fragte Luke.
    »Warum fragst du nicht mich?«, drängte ich.
    Claire nickte. »Ich bin sicher, dass er dort genug Platz hat.«
    »Hört mir eigentlich irgendjemand zu?«, fragte ich. »Ich kann da nicht sitzen. Wie stellt ihr euch das vor?«
    Luke sah mich an. »Beruhige dich, Daniel.«
    »Ich weigere mich.«
    »Zick nicht rum«, sagte er.
    »Nicht so laut«, mahnte Claire. »Daniel geht in den Kofferraum und damit basta.« Sie stieg bei der Fahrertür ein und schnallte sich an.
    »Luke!«, flehte ich. »Bitte!«
    »Du passt da rein«, sagte Luke, »und du bist da gut aufgehoben, weil ich sage, dass du da gut aufgehoben bist.« Claire schlug auf die Hupe, und Luke legte die Hände auf meine Schultern und schob mich nach vorn. Ich riss mich los. »Das kann ich selbst.« Ich kletterte in die winzige Nische, hing halb im, halb aus dem Wagen. Luke packte mein schlappes, herrenloses Bein und stopfte es mit dem Rest von mir in den Kofferraum, was meine Demütigung vollständig machte. »Das wär’s«, stellte er fest. Meine Knochen gaben nach. Von den unnachgiebigen Seiten der Koffer in neue Formen gezwungen, rollte sich mein Körper ein, wie eine Blüte, die sich vor einem Wolkenbruch schließt. Luke schlug die Hecktür zu, Dunkelheit brach jäh über mich herein.
    Dröhnend erwachte der Saab zum Leben. Ruckartig fuhren wir los, so dass sich das Gepäck verschob und mich gegen eine Seite des Kofferraums quetschte. Mein Körper hatte diesen beständigeren Dingen, die sich gegen ihn richteten, nichts entgegenzusetzen. Schon bald war ich nur eine Idee, faltbar und zu verstauen wie ein Kleidungsstück. So schossen wir in unserer Metallkiste davon, verließen Manhattan und überquerten den East River. Als wir eine Stunde später anhielten, Claire den Kofferraum öffnete, sich der Himmel über ihrem Kopf grau und unendlich erstreckte und die weiße Fähre über das grüne Wasser herantanzte, hatte ich begriffen, was Teilen von mir schon lange klar war: Ein normales Kind war ich nicht.
     
    In jener Nacht stand ich auf dem Treppenabsatz unseres gemieteten Hauses, während Claire einen Kürbis aushöhlte, dessen sehnige gelbe Fäden in der Küche über die Arbeitsfläche spritzten. Die Stirn vor Anstrengung gerunzelt, pustete sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Januarluft strömte durch die geöffneten Küchenfenster herein. Draußen schickten die wenigen bewohnten Häuser vereinzelt ihr schummriges Licht über die Insel. Sie machte sich über den Kürbis her, kratzte und riss an seinen Innenseiten, aber der Löffel erwies sich als zu stumpf, so dass sie immer wieder im Fruchtfleisch stecken blieb. Schon bald gab sie auf und schleuderte das halbfertige Ding in den Müll. Essen gab es an jenem Abend aus der Dose, und nachdem Claire das Geschirr abgewaschen hatte, nahm sie eine kleine, gelbe Tablette mit einem Glas Wasser und legte sich schlafen.
    Am nächsten Morgen stand sie nicht auf. Luke und ich stiegen die

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