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Der Andere

Der Andere

Titel: Der Andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian DeLeeuw
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herumlümmelt.
    »Mr. Tomasi?« Ich nahm an, dass es der Arzt war, der ihn ansprach, oder jemand von der Verwaltung, in einer Sportjacke mit Hahnentrittmuster und mit goldener Krawattennadel. Aber wen interessierte das schon, wo doch Claire an seiner Seite stand, nicht, wie ich erwartet hatte, in irgendeinem billigen Bademantel oder einem dieser typischen Krankenhauskittel, sondern im adretten marineblauen Hosenanzug und cremefarbener Bluse. Ihr dunkles Haar trug sie glatt und in einer ordentlichen Welle sorgfältig zur Seite gekämmt. Sie wirkte entspannt und lächelte. Ich hatte nicht nur vergessen, wie klein sie war – wie präzise und ausdrucksstark ihr Körper wirkte, als hätte sie sich all jener überflüssigen Schichten entledigt, die alle anderen mit sich herumtrugen –, mir war auch entfallen, wie beherrscht und makellos die Hülle war, mit der sie sich der Welt zu präsentieren suchte. Sogar hier, wo Ärzte und Schwestern sie in ihrer schlechtesten Verfassung gesehen hatten, sogar jetzt, wo ihr Sohn und ihr Ex-Mann auf alles vorbereitet waren und Verbände unter den Manschetten ihrer Anzugjacke hervorlugten, die ihre Handgelenke mit einem Flickwerk aus Gaze und Pflaster bedeckten. Das ist eine Lüge, dachte ich. Glaub das nicht. Ich sagte es aber nicht laut, denn meine Reaktion wäre zu pawlowsch für Luke gewesen, einfach viel zu vorhersehbar. Das ist sie nicht wirklich, wollte ich sagen, konnte mir aber schon denken, wie er mich ansehen würde und den Mund missbilligend verzog. Also hielt ich den Mund und beobachtete das glückliche Zusammentreffen.

3 . Kapitel
    W ir lebten wieder mit Claire zusammen. Als wir ein paar Tage später wieder einzogen, waren das Apartment gereinigt und alle Spiegel ausgetauscht worden. Die Wohnung war tadellos aufgeräumt, als hätte ich mir alles, was sich in diesen Räumen abgespielt hatte, nur ausgedacht, als seien die zwei Wochen unserer Abwesenheit nur ein abscheulicher Traum gewesen. Irgendjemand war vorbeigekommen und hatte alles in Ordnung gebracht. Claire hatte ihn aus der Ferne bezahlt.
    Nach ihrer Rückkehr wurden bestimmte Dinge eindeutiger festgelegt. Gegenstände durfte ich ohne Lukes Erlaubnis nicht anrühren. Manchmal, wenn wir unter uns waren, erlaubte er mir, meine eigenen Bücher zu lesen, und häufig ließ er mich bei den Hausaufgaben oder in Prüfungen auch seinen Stift führen. Aber jedes Mal, wenn ich mich anschickte, etwas ohne sein Einverständnis zu tun – einen Mitschüler mit einer Getränkedose bewerfen zum Beispiel oder am Zeitungsstand an der Schule eine Zeitung mitgehen lassen –, wich die Entschlossenheit aus meinen Fingern. Die Getränkedose rutschte mir aus den Händen, und die Zeitschrift wurde schwerer als ein Klumpen Blei. Das war schon so, als ich Luke kennenlernte. Aber damals galten Ausnahmen, die nun nicht mehr zulässig waren. Die Menschen waren zugleich einfacher und komplizierter, als sie es je gewesen waren. Ich konnte sie berühren, sie aber konnten mich nicht fühlen. Ich fuhr die Konturen ihrer Körper und Gesichter entlang, und sie hatten nicht die blasseste Ahnung davon.
    Während der letzten Monate, die Luke in der elften Klasse der Highschool zubrachte, veränderte sich zwischen Luke und mir nur wenig. Ich kümmerte mich um ihn in den Schulstunden, beim Football und auf den wenigen Partys, schubste ihn wieder ein Stückchen nach vorn, wenn er zurückzufallen drohte. Ich half ihm beim Fotografieren, seiner ganz neuen Obsession, der er in der Dunkelkammer im Keller des Schulgebäudes nachging. Mein Durchhaltevermögen in diesen Monaten war schier grenzenlos, einer verborgenen, vergessenen Kreatur gleich, die auf dem Meeresgrund lauert. Das erste Mal, als ich mich zu einer überstürzten Handlung hinreißen ließ, hatte ich mit zwölf Jahren Gefängnis bezahlt. Ein solcher Lapsus sollte mir nicht noch einmal passieren. Immerhin stellte ich dankbar fest, dass Lukes starre Haltung durch gewisse Freiheiten erträglicher gemacht wurde, die meine Form betrafen, die Art, in der ich mich Luke und mir selbst präsentierte. Bisher hatte ich nur wenig Einfluss auf mein Äußeres gehabt. Meine albernen Klamotten, mein schäbiger Körper, das Gesicht, das fast wie das von Luke aussah. Nichts davon hatte ich mir selbst ausgesucht. Mir war nur geblieben, mir die Schuhe zu putzen oder mein Haar zu kämmen. Aber Luke lockerte die Bedingungen, ließ zu, dass ich mit meinem äußeren Erscheinungsbild experimentierte, so dass ich im

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