Der Andere
überraschter war, aber als er mich wieder ansah, achtete ich sorgfältig auf meinen Gesichtsausdruck, als hätte ich dieses Ergebnis erwartet.
»Da bist du ja!« Cassie löste sich aus der Menge und lachte. »Was ist denn mit deinem Pulli passiert?«
Luke betrachtete die grellbunten Flecken. »Ich hatte wohl einen kleinen Unfall, wie es scheint.«
»Genau so sieht es aus.« Sie drohte ihm mit dem Finger. »Keine Drinks mehr für dich.«
Er lief rot an, schwankte ein wenig und streckte seinen Arm haltsuchend zur Wand aus. »Mir geht’s gut. Holst du mir noch einen?«
Cassie ging und kam schon bald mit einem Screwdriver zurück. »Das ist aber jetzt wirklich der Letzte.«
Als Cassie fünf Minuten später hinausging, um eine Zigarette zu rauchen, goss Luke sich selbst Gin aus einer Plastikflasche in den Becher und kippte alles in einem Zug runter. Ich wollte ihn nicht davon abhalten. Trinken machte ihn schwach und nachlässig, ich hingegen fühlte mich wohl. Als der Alkohol schließlich schlagartig Wirkung zeigte, folgte ich ihm nach oben auf die Toilette, schleuste ihn durch Scharen schnatternder Mädchen und schwitzender Jungen. »Du brauchst Wasser«, flüsterte ich ihm ins Ohr. »Du musst dich mal einen Augenblick verabschieden.« Seine Haut fieberte unter meiner Hand auf seinem Rücken. Er fummelte am Türschloss des Badezimmers herum. Verschiedene Muster kleiner schwarzer und weißer Fliesen durchzogen den Boden und die Wände, und über der Toilette thronte ein gerahmtes Poster von Gandhi. Der Mann saß mit gekreuzten Beinen da, wirkte ausgezehrt und hatte ein weißes Tuch um den Kopf geschlungen. Luke beugte sich über die Toilettenschüssel und erbrach eine rötlich orange Flüssigkeit, die wie Bowle mit Früchten aussah und nach Krankheit roch. Er sank auf die Knie, spülte und erbrach sich noch einmal. »So ist es gut«, sagte ich. »Lass alles raus.« Luke spülte ein zweites Mal, und ich drückte seinen Kopf in die Schüssel. Ich konnte nicht anders. Das hatte er für seinen Kommentar über Cassie verdient, und ich wusste nicht, wann ich ihn wieder so wehrlos vorfinden würde. Ich riss ihn an den Haaren hoch und sah in sein verkotztes Gesicht. Schnodder brodelte aus einem Nasenloch hervor, und das dunkle Haar klebte glänzend über seinen Augen. Er hustete, und ein weiterer kleiner Strom Erbrochenes rann aus dem Mundwinkel. »Hör auf damit«, sagte er. Die Worte waren feucht und nutzlos.
»Wir müssen dich irgendwie sauber kriegen«, beharrte ich, »und die Toilette allein wird da nicht reichen.« Ich zerrte ihn hoch, auf die Füße. Wie ein Sandsack fühlte er sich an, plump und schlaff. Die Dusche war eng und muffig. Farbenprächtige Fläschchen mit Hygieneprodukten zierten den Rand der Duschwanne. Luke trat sie beiseite, als ich ihn hineinbugsierte. Ich stellte das Wasser auf brühend heiß, und allmählich füllte sich der kleine Raum mit Dampf. Luke strich sich die Haare aus den Augen und wankte unter dem Wasserstrahl. Irgendjemand klopfte an die Tür. Ich beachtete es nicht und wischte den Schleim aus Lukes Gesicht. »Also wirklich«, sagte ich, »dieser Schmier ist ja widerlich. Du solltest dich schämen.« Das Gewicht des Wassers ließ seinen Pulli und die Jeans durchhängen und beulte sie aus. Seine Sneakers schmatzten obszön bei jeder Bewegung.
»Ich fühl mich so schwer«, sagte er. »Ich möchte mich setzen.«
»Das geht nicht, du bist noch schmutzig.«
Er zog an seinem Pulli. »Die Klamotten«, sagte er, »die sind zu schwer.«
»Dann zieh sie aus. Die sind vermutlich auch versifft.«
Er zog den Pulli und das Shirt über den Kopf. Sie blieben stecken, bildeten eine schlaffe Geschwulst, die sich wie ein Blutegel an seinem Gesicht und am Kopf festsaugte. Er kippte gegen die Wand und fiel fast um. Ich fing ihn auf und zog ihm das nasse Zeug aus. Er setzte sich auf den Wannenrand, um sich die Schuhe auszuziehen, und dann half ich ihm, sich seiner Jeans und der Boxershorts zu entledigen. Ich fühlte mich boshaft, skrupellos und lebendig. Er stand unter der Dusche, nackt, seine käsige Haut nahm einen knallrosa Farbton an. Sein Penis hatte sich im Schritt zurückgekringelt, und die schmächtigen Ärmchen baumelten teilnahmslos zu beiden Seiten hinab. Das Wasser trommelte auf seinen Hinterkopf. Er zitterte, bewegte stumm den Mund, als hätte er vergessen, wie man Laute bildet. Das ist also der Zustand, auf den sich Menschen so leicht reduzieren lassen, auf lächerliche, nutzlose
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