Der Anfang aller Dinge: Roman (German Edition)
genauso wie an dem Abend, als ich dich vor dem O’Riley’s küsste.«
»Unsinn«, widersprach sie heftig. »Es hat weder damals geklopft noch tut es das jetzt. Ich sagte dir doch schon, Thorpe, dass ich dich nicht leiden kann.«
»Vorhin hast du erklärt, dass du mich nicht mögen willst – und das ist etwas völlig anderes.« Sie war so grazil. Er wollte sie näher an sich ziehen, bis ihre Körper ineinander verschmolzen wären. »Ich könnte ganz leicht herausfinden, wie du dich im Augenblick fühlst – ich bräuchte dich nur zu küssen. Die gesamte Presse unseres Landes würde sich in Exklusivberichten über die Verbrüderung von Thorpe und Carmichael auf neutralem Boden übertreffen.«
»Der Knüller wäre vielmehr Thorpes gebrochener Unterkiefer nach Carmichaels Abbruch der diplomatischen Beziehungen.«
»Deinen zarten Händen nach zu urteilen hält sich deine Schlagkraft wahrscheinlich in Grenzen«, gab Thorpe nachdenklich zurück. »Außerdem bevorzuge ich selbst Knüller unters Volk zu bringen und nicht Teil davon zu sein.«
Liv wandte sich von ihm ab, als die letzten Takte verklangen. »Ich werde jetzt mal deine Theorie über die Damentoilette überprüfen«, meinte sie lässig. Ihr Herz klopfte tatsächlich. Und wie. Verdammt, er hatte Recht gehabt.
Thorpe beobachtete sie, wie sie durch die Menge davonschlenderte, und wünschte sich, die Party wäre schon vorbei und er könnte sie für sich haben, wenigstens für ein paar Minuten. Sein Körper glühte noch von der Berührung mit dem ihren. Noch nie hatte er eine Frau so heftig begehrt, und noch nie war er sich so sicher gewesen, dass ihm noch ein mühseliger Kampf bevorstünde, ehe er sein Ziel vielleicht erreichte. Er zog eine Zigarette aus der Packung, schnippte sein Feuerzeug an und sog tief den Rauch ein.
Er war an den Stress seiner Arbeit gewöhnt, blühte dadurch sogar erst richtig auf. Das war sein Geheimnis. Er konnte tagelang mit einem Minimum an Schlaf auskommen und dabei vor Energie schier platzen. Er brauchte keine Vitamine, nur eine gute Story. Aber hier handelte es sich um eine andere Art von Stress – etwas zu wollen und gleichzeitig zu wissen, dass es immer noch außerhalb seiner Reichweite lag. Aber nicht mehr lange, beschloss er grimmig und nahm wieder einen tiefen Zug von seiner Zigarette. Wenn es notwendig sein sollte, Liv weich zu kochen,
dann würde er genau das tun. Sie würde ihm nicht entkommen.
»T.C., Sie alter Pirat, was macht die Kunst?«
Thorpe drehte sich um. Es war der Pressesekretär des kanadischen Botschafters, dessen joviale Begrüßung er mit einem kameradschaftlichen Händedruck erwiderte und sich gleichzeitig ermahnte, sich zu entspannen. Eine erfolgreiche Belagerung brauchte Zeit.
Liv ließ sich viel Zeit dabei, ihr Make-up aufzufrischen, das eigentlich keiner Korrektur bedurfte. Während sie sich die Nase puderte, versuchte sie, ihre Reaktion auf Thorpe logisch zu durchdenken. Hatte sie ihn nicht als charismatischen Mann bezeichnet? Sogar als attraktiv, gestand sie sich widerwillig ein, freilich nur hinsichtlich seines athletischen Körperbaus. Das hatte nichts mit seiner komplizierten und recht enervierenden Arbeitsweise zu tun. Natürlich ist er ein aufgeblasener, alter Wichtigtuer, aber irgendwie mag ich ihn, dachte sie.
Liv sah in dem großen Spiegel zwei Damen hereinkommen. Die eine war die Kongressabgeordnete Amelia Thaxter, eine hart arbeitende Frau mit einem Faible für aussichtslose Fälle und schäbige Kleidung. Ihre Wähler liebten sie, wie ihre Wiederwahl für die zweite Legislaturperiode, die sie mit überragender Mehrheit gewonnen hatte, bewies.
Ihre Begleiterin, die gerade zu ihr sprach, war ebenfalls in den Fünfzigern, aber etwas untersetzter und in elegante graue Seide gewandet. Liv kannte sie von irgendwoher. Sie klappte zum zweiten Mal ihre Puderdose auf und spitzte die Ohren.
»Du bist toleranter als ich, Myra«, erwiderte Amelia. Sie ließ sich auf einem der Hocker nieder und zog müde einen Kamm aus ihrem Abendtäschchen.
»Rod ist kein schlechter Kerl, Amelia.« Myra setzte sich ebenfalls und zupfte die silberne Kappe von einem knallroten Lippenstift. »Wenn du ihm ein bisschen um den Bart gingest, könnte er dir gewiss eine Hilfe sein, anstatt dir im Weg zu stehen.«
»Er interessiert sich nicht für die ökologischen Probleme in South Dakota«, widersprach Amelia. Anstatt sich zu frisieren, klopfte sie mit dem Kamm vehement auf ihre Handfläche. »Ganz gleich, ob
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