Der Anfang aller Dinge: Roman (German Edition)
Weg fort, unaufhörlich in ihr Mikrofon sprechend.
Als Liv an ihm vorbeistürmen wollte, packte Thorpe sie
am Handgelenk. Er zog sie zurück und baute sich in voller Körpergröße vor ihr auf. Keinen Meter von ihnen entfernt schlug eine Kugel in den Asphalt.
»Bist du verrückt?«, herrschte er sie an, ehe er wieder das Mikro vor den Mund hielt. »Vier Männer«, fuhr er fort, ohne den Blick von der Szene zu wenden, »maskiert und mit Maschinenpistolen bewaffnet …«
Liv riss sich von Thorpe los. Weil er ihr den Weg abgeschnitten hatte, musste sie von dort aus berichten, wo sie stand. Über Thorpes Schulter hinweg konnte sie das beschädigte Fahrzeug und die vier bewaffneten Männer sehen. Bob Anweisungen zu geben, war nicht nötig. Er kauerte auf ein Knie gestützt vor der Menschenmenge und dokumentierte die Szene so cool, als filmte er eine Gartenparty. Alles als Deckung benutzend, was sie finden konnten, versah die gesamte Weltpresse ihren Job. In einem wilden Sprachengemisch fand die Nachricht von dem Anschlag ihren Weg in den Äther.
Plötzlich hörten sie eine Explosion von Schüssen. Dann trat eine gespenstische Stille ein.
Thorpe fuhr mit seiner Reportage fort, nachdem die vier Männer tödlich getroffen zu Boden gestürzt waren. Seine Stimme klang sachlich, aber etwas gehetzt. Er musste die Fakten melden, wie er sie zu Gesicht bekam. Aus diesem Grund hatte er sich für die Arbeit des Korrespondenten entschieden. Es würde stets die größte Herausforderung an einen Reporter bleiben, präzise Berichte von Geschehnissen in dem Augenblick abzugeben, in dem sie geschahen, ohne Manuskript, aus dem Stegreif. Das Adrenalin kochte in seinem Blut. Sein Instinkt hatte ihn nicht getrogen.
Die nächsten fünfzehn Minuten über berichtete er ununterbrochen, bis die Menge sich beruhigt hatte und der Trauerzug sich langsam wieder in Bewegung setzte. Die Feierlichkeiten nahmen ihren geplanten Verlauf wieder auf. In der Kathedrale würde der Londoner CNC-Korrespondent die weitere Berichterstattung übernehmen. Dadurch blieb Thorpe Zeit, Einzelheiten des Anschlags in Erfahrung zu bringen. Er machte seine Ansage und gab dem Kameramann ein Zeichen.
»Dazu hattest du kein Recht«, fing Liv sofort an.
»Halt den Mund, Olivia.« Erst in diesem Moment merkte er, wie wütend er war. Als er dem Tontechniker das Mikro gab, zitterte seine Hand. Sie hätte eine Kugel abkriegen können, dachte er grimmig. Sie hätte an seiner Seite sterben können.
Liv straffte die Schultern, ehe sie ihrer Wut freien Lauf ließ. »Was glaubst du eigentlich, wer du bist?«, begann sie, doch Thorpe unterbrach ihre Tirade, indem er sie am Arm packte.
»Jemand musste dich ja aufhalten, bevor du mitten in den Kugelhagel gerannt wärst. Du verdammte Idiotin! « Er holte Luft, nahm sie bei den Schultern und schüttelte sie kräftig. »Wer hätte deine wertvolle Reportage vorgelesen, wenn dich eine Kugel erwischt hätte?«
Liv machte sich von seinem Klammergriff frei. »Ich hatte keineswegs die Absicht, mich erschießen zu lassen. Ich wusste ganz genau, was ich tat«, beschied sie ihm kühl.
»Du hast an überhaupt nichts gedacht, sondern wolltest nur in vorderster Reihe stehen.« Thorpe brüllte jetzt und zog unweigerlich die Aufmerksamkeit einiger Kollegen auf sie. »Hast du etwa geglaubt, du bräuchtest sie nur freundlich bitten, ihre Schießerei kurz zu unterbrechen, damit du sie interviewen kannst?«
Liv starrte Thorpe fassungslos an. »Ich weiß gar nicht, warum du dich so aufregst«, schnaubte sie. »Ich habe nichts getan, was nicht jeder andere Reporter auch getan hätte.« Mit einer fahrigen Handbewegung strich sie sich das zerzauste Haar glatt. »Du hast genau das Gleiche getan. Und es stand dir nicht zu, meine Arbeit zu behindern.«
»Deine Arbeit behindern?«, wiederholte er ungläubig. »Da vorne haben vier schwer bewaffnete Verrückte wild um sich geballert!«
»Verdammt, das habe ich auch gesehen!« Zornig wedelte sie mit ihrem Mikro. »Das war ja die Story. Was ist nur in dich gefahren?«
Thorpe erwiderte wortlos ihren entrüsteten Blick. Er hatte überreagiert, das wusste er. Aber das dämpfte seinen Zorn kein bisschen. Um sie nicht wieder zu schütteln, rammte er
die Hände in die Hosentaschen. Er konnte das Wissen nicht ertragen, dass sie sich in Gefahr befunden hatte … und er nichts dagegen hatte tun können.
»Ich muss arbeiten«, erklärte er kühl und ließ sie einfach stehen.
Liv stemmte die Fäuste in die Hüften
Weitere Kostenlose Bücher