Der Anfang aller Dinge: Roman (German Edition)
an ihrer Halsvene, spürten ihrem Pulsschlag nach und folgten dann der Linie ihres Unterkiefers. Als sein Mund endlich wieder zu ihrem zurückkehrte, war es, als konzentrierte sich ihr ganzes Verlangen allein auf die Berührung ihrer Lippen.
Die Leidenschaft arbeitete sich aus den düsteren Gefilden der Lust empor ans Licht, manifestierte sich als gleißender Blitz in ihrem Gehirn und lähmte sie. Mit einem unterdrückten Aufschrei, der Kapitulation, aber auch Panik verhieß, sank sie gegen seine Brust.
Überrascht von ihrer plötzlichen Schwäche, schob Thorpe sie ein wenig von sich weg, um sie zu betrachten. In ihren Augen entdeckte er Spuren von Leidenschaft, von Angst und Verwirrung. Dieser Blick allein stellte eine viel undurchdringlichere Barriere dar als all ihre wütenden Worte oder ihr hartnäckiges Leugnen.
Ein Gefühl der Zärtlichkeit überflutete ihn. Er war nicht im Stande, gegen dieses plötzliche Bedürfnis nach Zärtlichkeit anzukämpfen. Sie jetzt zu nehmen, wäre ein Kinderspiel, überlegte er, doch sie körperlich zu besitzen war nur ein Teil dessen, was er wollte. Wenn sie irgendwann miteinander schliefen – und dass es dazu kommen würde, bezweifelte er nicht –, würde sie ihm ohne Angst begegnen. Und darauf würde er warten.
Lächelnd hauchte er ihr einen Kuss auf die Lippen. Er wollte dieses Aufblitzen von Wut noch einmal in ihren Augen sehen. »Für den Fall, dass du deinen Entschluss, mir zu widerstehen, ändern solltest, Carmichael, werde ich meine Tür offen lassen. Du brauchst nicht einmal anzuklopfen.«
Damit schlenderte er davon und zog die Verbindungstür mit einem leisen Klicken ins Schloss. Es dauerte zehn Sekunden, bis er hörte, wie ihr Schuh mit einem dumpfen
Poltern gegen die Tür flog. Grinsend stellte er den Fernseher an, um zu sehen, was die britischen Nachrichten zu vermelden hatten.
8.
Das leise, monotone Summen des Weckers riss Liv um sechs Uhr morgens aus dem Schlaf. Automatisch tastete sie nach dem Abstellknopf und stierte dann schlaftrunken in dem unpersönlichen Raum umher, ohne die geringste Ahnung, wo sie sich befand. London, erinnerte sie sich und rieb sich die Augen.
Sie hatte schlecht geschlafen. Sie setzte sich auf, zog die Knie bis ans Kinn hoch und lehnte die Stirn dagegen. Zum Teufel mit Thorpe! Die halbe Nacht hatte sie sich im Bett herumgewälzt, von Zweifeln und Sehnsüchten geplagt, die nicht existiert hatten, bevor er sie zum ersten Mal berührt hatte. Der Grund ihres Aufenthaltes in London war rein beruflich. Und selbst wenn sie etwas Freizeit haben sollte, hatte sie nicht vor, diese mit ihm zu verbringen. Sie wollte sich überhaupt nicht mit ihm einlassen. Warum begriff er das nur nicht?
Weil zwischen Worten und Taten ein gewaltiger Unterschied bestand, dachte sie frustriert. Wie konnte sie ihn überzeugen, dass sie nichts mit ihm zu tun haben wollte, wenn sie jedes Mal mit unstillbarem Verlangen reagierte, wenn er sie umarmte? Ja, sie hatte ihn gewollt. Gestern Abend, als er sie in den Armen gehalten hatte, da hätte sie sich ihm hingegeben. Ihr Wille hatte sich dem seinen gebeugt. Und das jagte ihr Angst ein.
Um das Problem zu lösen, musste sie zuerst bei sich selbst anfangen. Sie musste ihre Wortwahl ändern: nicht denken, dass sie sich nicht auf ihn einlassen wollte, sondern dass sie sich weigerte, sich auf ihn einzulassen.
Liv stand auf und ging ins Bad. Es gab viel zu viel zu tun,
als dass sie es sich leisten konnte, dazusitzen und über einem persönlichen Problem zu brüten. Außerdem gestand sie Thorpe eine zu große Wichtigkeit zu, wenn sie sich ständig über ihn den Kopf zerbrach, überlegte sie. Mein Gott, wie würde er sich freuen, wenn er wüsste, dass sie genau das eben getan hatte!
Sie hatte ein sehr dezentes Kostüm eingepackt, dunkelgrau und schlicht geschnitten. Nachdem sie den letzten Knopf geschlossen hatte, musterte sie sich in dem bodenlangen Spiegel und entschied, dass ihr Outfit in Ordnung war. Ein paar Extratupfer Make-up deckten die Schatten unter den Augen ab. Schon wieder Thorpe , dachte sie reumütig.
Die schmale Handtasche, entschied sie, war groß genug für ihren Notizblock und ein paar Ersatzbleistifte. Sie warf den Mantel über den Arm und schickte sich an, nach unten zu gehen, als sie unter der Verbindungstür etwas Weißes liegen sah.
Liv kniff die Augen zusammen. Dieses weiße Etwas sah verdächtig nach einem Brief aus. Das Beste wäre, ihn einfach zu ignorieren, dachte sie und schritt
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