Der Anfang aller Dinge: Roman (German Edition)
konnte. Liebe. Wie fühlte es sich an zu wissen, dass man geliebt wurde? Wenn sie doch nur ein paar Augenblicke für sich hätte. Wenn ihr Herz doch aufhören würde, wie wild zu klopfen.
»Es genügt mir nicht, nur deinen Körper zu besitzen, Olivia.« Sie hörte die Enttäuschung und die Wut in seinen Worten und wehrte sich instinktiv dagegen. Nein, sie würde sich nicht unter Druck setzen lassen, sich nicht manipulieren lassen. Sie bestimmte ihr Leben immer noch selbst. Er spürte die Veränderung. Seine Finger krallten sich in hilfloser Rage in ihre Schulter.
»Was willst du?«
»Sehr viel mehr«, erwiderte er bedächtig, »als du mir zu geben bereit bist. Vertrauen, nehme ich an, wäre ein guter Anfang.«
»Ich kann dir nicht mehr geben, als ich habe.« Am liebsten hätte sie sich in seine Arme geworfen und geweint. Doch sie hielt seinem Blick stand. »Ich liebe dich nicht. Und ich will nicht, dass du mich liebst.«
Keiner von beiden ahnte auch nur, welches Ausmaß an Schmerz ihre Worte dem anderen bereiteten. Liv sah nur den Schatten in seinen Augen, der ihr sagte, wie sehr er seine Wut und Enttäuschung beherrschte. Hätte er sich nicht so perfekt im Griff gehabt, wusste sie, dann hätte er sie für die kühle Sachlichkeit ihrer Worte geohrfeigt. Beinahe wünschte sie, er hätte es getan. Im Augenblick hätte sie liebend gern körperliche Schmerzen gegen diese seelische Qual getauscht.
Ganz langsam lösten sich seine Hände von ihrer Schulter. Dass ihn jemals eine Frau so verletzen könnte, hätte er nie gedacht. Schweigend zog er sich an. Er wusste, dass er ganz schnell verschwinden musste, ehe er etwas tat, was er später bereuen würde. So weit würde sie ihn nicht bringen. Weder durch Ablehnung noch mit ihrer verdammten kühlen Gleichgültigkeit oder durch irgendetwas anderes. Er würde sie in Ruhe lassen, denn das wollte sie anscheinend. Je früher sie aus seinem Blickfeld verschwand, desto eher konnte er beginnen, sie zu vergessen. Noch während er die Tür hinter sich ins Schloss zog, schalt er sich einen Idioten.
Das Zuklappen der Tür riss Liv aus ihren Gedanken. Sie fuhr herum und starrte eine Ewigkeit auf die Türfüllung. Die Stille um sie herum wurde immer greifbarer. Zu einer Kugel zusammengerollt, kauerte sie auf dem Fußboden und weinte um sie beide.
Die normale Tagesroutine geriet zu einem wahren Hindernislauf. Aufstehen, anziehen, den Wagen durch das morgendliche Verkehrschaos steuern. Liv kam alles auf einmal viel größer und komplizierter vor als sonst. Ihr Terminplan an diesem Vormittag war randvoll, und sie schleppte sich durch die Stunden mit einer Mischung aus nervöser Aufgekratztheit und lähmender Müdigkeit. Es war ihr unmöglich, sich wie gewohnt ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren, denn Thorpe war ständig gegenwärtig, zumindest in ihrer Vorstellung.
Alles war so schnell geschehen. Liv hatte nicht damit gerechnet, dass er sich in sie verlieben würde. Und sie kannte und verstand ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, dass Thorpe kein Mann war, der leichtfertig liebte. Seine ganze Kraft und Stärke vereinigten sich darin. Wenn ein Mann wie Thorpe eine Frau liebte, dann wurde sie total und bedingungslos geliebt. Vielleicht war es das, was ihr am meisten Angst machte.
Trotzdem war es nicht Angst, was sie jetzt, nach Abschluss eines Interviews, empfand, sondern – Leere. Bevor Thorpe ein Teil ihres Lebens geworden war, hatte sie diese Leere akzeptiert, hatte dieses Vakuum so gut wie möglich mit ihrer Arbeit und ihrem Ehrgeiz gefüllt. Aber das reichte nicht mehr aus. Allein an diesem Vormittag waren ein Dutzend Dinge geschehen, die sie gern mit ihm geteilt hätte. Jahre waren verstrichen, ohne dass sie das Bedürfnis verspürt hätte, Eindrücke und dergleichen mit jemandem zu teilen, und plötzlich war ihr das so wichtig. Aber sie hatte ihn weggestoßen.
Was sollte sie jetzt tun? Wie könnte sie ihm begreiflich machen, dass ein Teil von ihr ihn lieben und von ihm geliebt werden wollte, während der andere Teil sich fühlte wie ein Kaninchen vor dem Jäger? Erstarrt vor Angst und Panik.
Konnte sie überhaupt erwarten, von ihm verstanden zu werden?, fragte sie sich, während sie ihren Wagen mechanisch durch den Nachmittagsverkehr steuerte. Sie war ja nicht einmal mehr sicher, ob sie sich selbst verstand. Lass die Dinge erst mal eine Weile ruhen, riet sie sich. Geh mit Mrs. Ditmyer zum Lunch, entspann dich und versuch dann, noch einmal neu darüber
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