Der Anfang aller Dinge: Roman (German Edition)
den Bademantel
zuzuknoten und schnüffelte dann vernehmlich. »Ich rieche gar keinen Kaffee! Also wirklich, Thorpe, das wäre doch das Mindeste …«
Der Rest des Satzes verklang tonlos, als Liv den Kopf hob und sah, was Thorpe in der Hand hielt. Sie erstarrte, ihr fröhliches Gesicht wurde zu einer steinernen Maske.
»Liv.« Er begann ihr zu erklären, dass er Streichhölzer gesucht habe, und hielt dann inne. Seine Erklärungen spielten offensichtlich keine Rolle, selbst wenn sie zu ihr durchgedrungen wären. »Wer ist das?«
Thorpe hätte ganz langsam bis zehn zählen können, ehe Liv den Blick hob und ihn ansah. Sie schluckte und ihre Unterlippe begann zu zittern. Doch als sie schließlich antwortete, klang ihre Stimme klar und fest. »Mein Sohn.«
Er hatte es vom ersten Moment an gewusst. Die Ähnlichkeit war frappierend. Und dennoch versetzte ihm ihre Antwort einen merkwürdigen Schock. Er hielt ihren Blick fest, als er ebenfalls mit ganz ruhiger Stimme fragte: »Wo ist er?«
Liv war jetzt schneeweiß im Gesicht. Thorpe hatte noch nie so dunkle Augen gesehen, so voller Gedanken, Geheimnisse und Schmerz. Ein Schauer durchfuhr sie. »Er ist tot.«
Ohne eine weitere Erklärung ging sie zum Schrank, um sich etwas zum Anziehen herauszuholen. Ihre Augen sahen nichts außer einem wirren Farbspektrum. Ihre Hände, die vor Taubheit nicht einmal mehr zittern konnten, griffen blind in die Fächer. Und selbst als sie Thorpes Hände auf ihren Schultern spürte, schob sie weiterhin Kleiderbügel hin und her und zerrte schließlich eine Bluse heraus.
»Liv.« Es bedurfte sanfter Gewalt, sie zu sich umzudrehen.
»Ich muss mich anziehen, wenn wir rudern wollen.« Sie schüttelte den Kopf, vorsorglich Thorpes Fragen abwehrend, und versuchte sich seinem Griff zu entwinden.
»Hör auf damit.« Es klang wie ein Befehl. Thorpe schüttelte Liv kurz und heftig, bis sie wenigstens einmal kurz Luft holte. »Tu das nicht. Nicht jetzt, nie wieder. Nicht mit mir.« Ehe Liv etwas sagen konnte, zog Thorpe sie in die Arme und hielt sie fest an sich gedrückt.
Sie hätte sich seinem harschen Befehl widersetzen können,
doch er bot ihr Trost an, eine starke Schulter. Sie lehnte sich an ihn und ihre Abwehr zerbröckelte.
»Komm, setz dich«, sagte er. »Und erzähl es mir.«
Gehalten von seinen Armen, setzte sich Liv aufs Bett. Das Foto lag neben ihr. Sie nahm es und legte es in ihren Schoß. Thorpe drängte sie nicht, denn er spürte, dass sie sich erst sammeln musste, ehe sie darüber sprechen konnte.
»Ich war neunzehn, als ich Doug kennen lernte.« Ihre Zuschauer hätten ihre Stimme jetzt nicht wieder erkannt. Sie war leise und stockend und vibrierte vor innerem Aufruhr. »Er studierte Jura. Er bekam ein Stipendium. Er war ein brillanter Mann, sehr frei in seinen Gedanken, aber absolut entschlossen, was seinen weiteren Lebensweg betraf. Er wollte der beste Strafverteidiger des Landes werden. Das System von Grund auf umkrempeln, gegen Windmühlen kämpfen, den großen Drachen besiegen. Das war Doug.«
Als Thorpe schwieg, holte sie tief Luft und fuhr fort. Ihre Stimme gewann an Stärke. »Wir waren sofort Feuer und Flamme füreinander. Vielleicht deshalb, weil wir aus ganz unterschiedlichen Familien stammten und so große Ideale hatten. Wir haben uns perfekt ergänzt. Und wir waren so jung.« Sie seufzte, sammelte Kraft und sprach weiter. »Wir haben ganz schnell geheiratet, keine drei Monate nach unserer ersten Begegnung. Meine Familie …«
Sie lachte kurz auf und schüttelte den Kopf. »Na ja, belassen wir es dabei, dass sie überrascht reagierte. Manchmal denke ich, das könnte der Hauptgrund gewesen sein, dass ich Doug geheiratet habe, obwohl mir der Gedanke nicht sonderlich gefällt.«
Sie starrte eine Weile ins Leere, versunken in ihren Erinnerungen. Thorpe fühlte das, doch er hörte weiter aufmerksam zu.
»Es war nicht die stabilste aller Ehe – wir waren jung und standen beide sehr unter Druck. Das College. Doug stand mitten im Examen; ich habe bei einem Lokalsender mein Praktikum absolviert und nebenbei studiert. Geld hat uns damals nicht viel bedeutet, zum Glück, denn wir besaßen ohnehin nicht viel. Wir hatten zwischendurch auch schöne Zeiten,
aber Doug stand …« Sie atmete lange aus, als suchte sie nach passenden Worten.
»Er hatte eine Schwäche für andere Frauen. Er liebte mich, davon bin ich fest überzeugt, auf seine Weise, aber er konnte nicht treu sein. Keiner seiner … Seitensprünge hat ihm
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