Der Anfang aller Dinge: Roman (German Edition)
meinte, ich sei zu fürsorglich. Da musste ich dann lachen, denn schließlich war er es gewesen, der drei Wochen lang die Fachgeschäfte nach dem sichersten Kindersitz fürs Auto durchkämmt hatte, bis er endlich den richtigen fand. Wenn ich nur … Wenn ich nur auf meine Intuition gehört hätte, wäre vielleicht alles anders gekommen.«
Liv starrte wieder das Foto an; dann drückte sie es an die Brust. »Der Babysitter rief mich in der Redaktion an und sagte mir, dass Josh von der Schaukel gefallen sei. Nur eine kleine Beule am Kopf, beruhigte sie mich, doch ich ließ sofort alles stehen und liegen, rief Doug in der Kanzlei an und raste nach Hause. Doug war schon da. Josh schien es gut zu gehen, doch wir beide gerieten in Panik und fuhren mit ihm sofort ins nächste Krankenhaus. Ich weiß noch genau, wie ich im Warteraum der Notaufnahme saß, während man ihn röntgte. Dieser lange Flur mit den vielen weißen Plastikstühlen, den Aschenbechern und grellen Neonlampen. Die Bodenfliesen waren schwarz mit weißen Sprenkeln darin. Die zählte ich, während Doug den Flur auf und ab tigerte.
Als der Arzt kam, führte er uns beide in dieses kleine Zimmer. Seine Stimme klang unheimlich sanft. Das ängstigte mich. Ich sah es in seinen Augen, ehe er noch irgendetwas sagte, wollte es aber nicht glauben. Es war völlig unmöglich.« Sie presste die Hand vor den Mund, um die Schluchzer zurückzuhalten. Jedes kleinste Detail wurde in ihrer Erinnerung wieder lebendig und damit auch der Schmerz und die Trauer. »Ich glaubte ihm einfach nicht, als er uns sagte, dass Joshua plötzlich an einer Embolie gestorben sei. Er war tot. Einfach so.«
Liv wiegte sich schluchzend hin und her, das Bild von Joshua an die Brust gedrückt. »Was dann passierte, weiß ich nicht mehr. Ich wurde total hysterisch und sie gaben mir eine Beruhigungsspritze. Irgendwann war ich wieder zu Hause. Doug war völlig fertig. Wir konnten uns gegenseitig keine Stütze sein und suchten deshalb nur die Schuld beim anderen. Wir sagten einander schreckliche Dinge. Er warf mir vor, dass ich nicht zu Hause geblieben bin und auf unser Kind aufgepasst habe. Dass es mir nicht wichtig genug gewesen ist. Wenn ich da gewesen wäre, wäre das vielleicht nicht … Und ich hackte zurück. Er hatte diese Schaukel gekauft, diese verdammte Schaukel, die mein Baby umgebracht hat.«
»Liv.« Er wollte das alles auslöschen – den Schmerz, die Trauer, selbst die Erinnerungen. Sie presste das Foto ihres Kindes noch immer fest an die Brust, als wollte sie es durch ihren Herzschlag wieder zum Leben erwecken. Wie konnte er sie nur trösten? Sicher nicht durch Worte; dafür gab es keine. Er konnte sie nur halten.
Sie wischte sich mit dem Handrücken energisch die Tränen ab, als Thorpe sie enger an sich zog. Jetzt, da es heraus war, war es noch lange nicht vorbei. Liv wurde nur noch von ihren Gefühlen beherrscht, und die folgten ihrem eigenen Weg. »Greg kam. Er war Joshs Patenonkel und unser bester Freund. Ja, bei Gott, wir brauchten jemanden; unsere Welt war von einer Sekunde auf die andere eingestürzt. Er bewahrte uns davor, uns gegenseitig mit Vorwürfen zu zerfleischen, doch es war, wie es war: Josh war tot.«
Ein langer, tiefer Seufzer brach aus ihr hervor, der ihren Körper erbeben und ihre Schultern unter Thorpes Armen zittern ließ. »Er war tot, und nichts konnte ihn wieder lebendig machen. Niemand hatte Schuld daran. Es war ein Unfall. Schlicht und einfach ein Unfall.«
Liv schwieg eine ganze Weile. Thorpe ahnte, dass sie Kraft sammelte, um fortzufahren. Er wünschte, die Schmerzen würden nachlassen, wünschte, er könnte ihr helfen, den Kummer und die Trauer in der Vergangenheit einzuschließen und dort zu belassen. Doch ehe er noch etwas sagen konnte, sprach sie weiter.
»Greg kümmerte sich um die Formalitäten – das Begräbnis. Ich war damals überhaupt nicht bei mir. Sie gaben mir etwas; ich weiß bis heute nicht, was es war. Doug und ich waren in dieser ersten Woche wie Zombies. Meine Eltern kamen, aber was wussten die schon von mir. Und sie haben Josh nicht so gekannt wie ich. Wenn ich damals an seinem Zimmer vorbeiging, erwartete ich jedes Mal, ihn darin spielen zu hören. Ich bin ziemlich bald wieder zur Arbeit gegangen. Ich konnte es nicht ertragen, zu Hause zu sein und darauf zu warten, dass Josh aufwachte.«
Während sie sprach, flossen die Tränen in Strömen. Ihre Stimme klang dumpf und heiser vor Trauer. Was immer Thorpe hinter ihrer eisernen
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