Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
nichts zugegeben«, sagte Denardi gleich mehrmals.
»So? Nun, dann ist ja alles bestens. Dann muss er sich auch überhaupt keine Sorgen machen.«
Ro machte einen Schritt auf ihn zu. »Ich muss mir ohnehin keine Sorgen machen, Arschgesicht.«
»Das reicht, Ro.« Denardi stellte sich zwischen die beiden. »Inspector, verlassen Sie augenblicklich das Büro!«
»Klar«, sagte Bracco und trat einen Schritt zurück. »Bin schon so gut wie weg. War nett, mit Ihnen allen geplaudert zu haben.«
22
Sheila Marrenas war als Einzige aus der Redaktion des »Courier« nicht im Großraumbüro im Erdgeschoss untergebracht, sondern durfte in einem Einzelbüro arbeiten. Sie hatte sich diese Sonderstellung nicht nur erkämpft, weil sie eine flotte Schreibe hatte, sondern auch, weil ihre Kolumne »Unsere Stadt« die mit Abstand populärste in der ganzen Zeitung war. Sie hatte ein untrügliches Gespür für Nachrichten mit dem berühmten »human touch«, vor allem aber dafür, bestehende soziale Konflikte unter dem Deckmantel der »Nachricht« immer wieder auszugraben. Es hatte sich auch nicht als hinderlich erwiesen, dass sie von früh an mit einem Wertesystem aufgewachsen war, das sich mit den Positionen der Herausgeber deckte – und dass sie diese Positionen leidenschaftlich und voller Überzeugung vertrat.
Nachdem sie mit der Pressesprecherin des Bürgermeisters beim Lunch ein Informationsgespräch geführt hatte, war sie gerade zurück ins Büro gekommen. Ihr schwebte bereits vor, wie sie Leland Crawfords erste Wochen im Amt in einem ausnehmend positiven Licht darstellen würde. Objektivität war dabei ein Faktor, auf den sie keinen übermäßig großen Wert legte. Andere Nachrichtenmedien hatten schon seit Langem den Nachweis erbracht, dass diese Qualität schlicht und ergreifend überbewertet war. Abgesehen davon war sie keine Reporterin, sondern Kolumnistin: Es ging um Meinung und nichts anderes.
Marrenas wusste nur zu gut, dass es bei Zeitungen darum ging, Einfluss zu nehmen und die öffentliche Meinung zu formen. Im konkreten Fall bedeutete das, dass Leland Crawford erhebliche Wahlkampfspenden der Curtlees erhalten hatte und nun, selbst in den ersten Wochen seiner Amtszeit, keinen Zweifel daran ließ, wem er seine Sonnenseite zu zeigen gedachte. In den politischen Scharmützeln, die in San Francisco an der Tagesordnung waren, konnte er sich noch als ein wertvoller Verbündeter erweisen. Und eine schmeichelhafte Kolumne von ihr würde mit Sicherheit dazu beitragen, diese Allianz weiter zu festigen. Vielleicht sollte sie ja Crawfords pragmatische Agenda kontrastieren mit der katastrophalen Amtsführung, die ein Wes Farrell bislang an den Tag gelegt hatte.
Für einen netten Wirbel wäre garantiert gesorgt.
Ihr Telefon klingelte, als sie zur Tür kam. Sie reckte sich über ihren überfüllten Schreibtisch, um den Hörer zu greifen. Auf ihre unnachahmliche Art flötete sie ihren Namen.
»Sheila, Cliff hier. Es ist was passiert. Haben Sie eine Minute Zeit? Gut. Ich komme gleich runter.«
Sie ging hinter den Schreibtisch, öffnete eine Schublade und nahm einen kleinen Spiegel heraus, um ganz sicherzugehen, dass ihr Aussehen perfekt war. Sie hätte sich die Mühe sparen können: Mit ihren 43 Jahren sah sie blendender aus als mit 30. Sie hatte im Laufe der Jahre ihren persönlichen Stil gefunden, eine Mischung aus professionellem Auftreten und klassischem Chic. Die einst wilde schwarze Mähne war inzwischen gezähmt und mit Locken kultiviert worden, die ihr bis auf die Schultern fielen. Ihr Gesicht war nie das Problem gewesen: Ihre Haut, leicht ins Olive tendierend, war nicht nur rein, sondern besaß eine natürliche Strahlkraft. Und zusammen mit ihren heißblütigen kohlschwarzen Augen schenkte sie der Welt ein Lachen, das noch gewinnender geworden war, seit sie vor sechs Jahren die letzte Zahnspange abgelegt hatte.
Sie war mit ihrem Aussehen mehr als zufrieden, und als sie ihren Spiegel wieder in der Schublade verstaute, konnte sie sich ein wissendes Lächeln nicht verkneifen. Eigentlich war es jammerschade, ging es ihr durch den Kopf, dass sie ihre Attraktivität nicht nutzte, um Cliff zu verführen und ihre berufliche Stellung weiter auszubauen. Denn dass Cliff sie mit seinen Augen am liebsten ausgezogen hätte, ließ sich nun wirklich nicht übersehen. Wobei ihre sexuelle Neigung eigentlich eher Richtung Theresa tendiert hätte, aber – so fragte sie sich – welchen Grund sollte es geben, jemanden zu verführen, der
Weitere Kostenlose Bücher