Der Angriff
Rapp drehte das Gesicht zur Seite und zeigte ihr die Narbe auf seiner Wange. »Sehen Sie diese Narbe? Ich werde Ihnen ein kleines Geheimnis verraten. Ich habe mich nicht beim Rasieren geschnitten. Diese Narbe verdanke ich niemand anderem als Rafik Aziz. Darum sollten Sie vielleicht gut zuhören, wenn ich Ihnen meine Ansichten über einen Mann mitteile, den Sie nie gesehen haben und über den Sie absolut nichts wissen. Der Typ, von dem wir hier reden, ist kein Bankräuber und auch kein irrer Sektenführer wie dieser David Koresh. Er ist ein religiöser Fundamentalist – und außerdem noch ein gefährlicher und intelligenter Killer. Ihr kleiner Plan für morgen würde ja vielleicht funktionieren, wenn wir es mit irgendeinem frustrierten Typen zu tun hätten, den sie in seinem Job gefeuert haben und der eine Bank oder ein Postamt in seiner Gewalt hat – aber hier haben wir es mit einem anderen Kaliber zu tun. Aziz ist kein gewöhnlicher Krimineller. Wenn Sie ihm nur einen Teil von dem geben, was er gefordert hat, dann wird er ziemlich wütend werden und Ihnen eine Lektion erteilen, die sich gewaschen hat.« Rapp beugte sich über das Rednerpult und suchte nach irgendeinem Anzeichen, dass seine Worte bei den Politikern, die ihm gegenübersaßen, auf fruchtbaren Boden fielen.
Der Ausdruck auf ihren Gesichtern sagte alles. Sie sahen ihn an, als rede er in irgendeiner exotischen Fremdsprache zu ihnen. Rapp konnte es einfach nicht glauben. Rafik Aziz war seine Angelegenheit. Er hatte ein Drittel seines Lebens damit zugebracht, diesen Mann zu jagen. Und es ging jetzt darum, ihn davon abzuhalten, noch mehr Menschen zu töten. Es gab niemanden hier in diesem Raum – und vielleicht auf der ganzen Welt –, der besser als Rapp gewusst hätte, wie Rafik Aziz dachte. Und wie reagierten diese Leute hier in einem Moment, wo sie am allermeisten auf ihn hören sollten? Sie behandelten ihn, als wäre er irgendein Spinner, den man nicht ernst zu nehmen brauchte.
Rapp musste sich zusammenreißen, um nicht laut zu schreien. In diesem Augenblick wurde ihm klar, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als den Dingen ihren Lauf zu lassen. Wenn sich diese Mrs. Tutwiler für so schlau hielt und ihre Theorie unbedingt in die Tat umsetzen wollte, dann sollte sie es nur tun. Rapp war sich absolut sicher, dass sie morgen mit ihrem Plan ein absolutes Desaster erleben würde.
Er schüttelte den Kopf und sagte: »Ich habe Sie jedenfalls gewarnt.« Während er zur Tür ging, rief er noch zurück: »Rufen Sie mich an, wenn Sie mit Ihren Spielchen fertig sind. Ich komme dann und bringe ein wenig Ordnung in das Chaos, das Sie anrichten.« Damit öffnete er die Tür und ging hinaus.
General Flood sah Rapp nach und winkte dann einen seiner Adjutanten zu sich. Als der General Direktor Stansfield gebeten hatte, den jungen Anti-Terror-Spezialisten mitzubringen, war ihm bestimmt nicht eingefallen, dass es zu so einem Auftritt kommen würde; doch er war nicht unglücklich darüber, dass jemand den Mut hatte, einige Dinge offen auszusprechen. Ein Air-Force-Captain beugte sich zu ihm hinunter, und General Flood flüsterte ihm ins Ohr: »Sagen Sie bitte Mr. Kruse, dass er in meinem Büro auf mich warten soll, bis wir hier fertig sind.«
Mit Ausnahme der Secret-Service-Leute waren alle Geiseln in die Messe des Weißen Hauses gebracht worden. Die Tische und Stühle hatte man auf den Flur hinausgeworfen, wo sie eine Barriere bildeten. Die Geiseln saßen wie zusammengepferchtes Vieh im Kreis auf dem Boden. Es waren stets mehrere Terroristen anwesend, um sie zu bewachen. Sie kamen und gingen ohne erkennbaren Plan, und es kam nicht selten vor, dass sie eine der Geiseln anbrüllten oder mit den Füßen traten.
Anna Rielly setzte sich erleichtert wieder auf den blauen Teppich. Sie hatte es geschafft, auf die Toilette und wieder zurück zu gehen, ohne geschlagen oder getreten zu werden. Die Frau vor ihr hatte eine Ohrfeige bekommen, weil sie es gewagt hatte, zu einem der Terroristen aufzublicken. Anna Rielly hielt den Blick stets gesenkt. Nur einmal hatte sie aufgeblickt, als einer der Terroristen ihr auf die Toilette gefolgt war. Sein Gesichtsausdruck machte ihr Angst. Er hatte sie auch auf der Toilette die ganze Zeit über eindringlich angestarrt. Die Erinnerung daran jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken.
Anna Rielly hatte vor Jahren einmal für NBC-Chicago eine Reportage über islamischen Terrorismus gemacht. Das zweiwöchige Projekt hatte ihr
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