Der Angriff
besser. Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und blickte sich vorsichtig im Raum um. Zwei der Wächter standen bei der Tür und unterhielten sich. Sie wusste, dass sie nicht die Einzige war, die auf die Toilette musste, doch nach dem, was vergangene Nacht passiert war, wagte es keiner, zu fragen. Anna überkreuzte die Beine und warf einen kurzen Blick über die Schulter zurück. Der Terrorist, der die junge blonde Frau mitgenommen hatte, starrte sie mit einer Zigarette im Mundwinkel an.
Anna Rielly hatte diesen Albtraum selbst durchgemacht und sie hatte sich geschworen, dass sie eher sterben würde als so etwas noch einmal zuzulassen. Vor vier Jahren hatte sie einmal bis in die Nacht hinein gearbeitet, und auf dem Nachhauseweg stürzten plötzlich zwei Männer aus dem Dunkeln auf sie zu, zerrten sie in eine dunkle Gasse und vergewaltigten sie.
Dieses albtraumhafte Ereignis hatte ihr einige blaue Flecken, vor allem aber tiefe seelische Wunden eingetragen. Nicht zuletzt dank Annas Therapeutin begannen auch diese Wunden zu heilen. Vor der Vergewaltigung war Anna eine fröhliche junge Frau gewesen, die durchaus nichts gegen einen gelegentlichen Flirt gehabt hatte. Der traumatische Vorfall hatte ihr verständlicherweise ein tiefes Misstrauen gegenüber dem anderen Geschlecht eingeflößt. Nach und nach hatte sie wieder begonnen, die Gesellschaft von Männern, die an ihr interessiert waren, zu genießen – doch Sex war dabei noch kein Thema gewesen. Als sie ihren neuen Job in Washington angenommen hatte, betrachtete sie es als eine große Chance, dort ganz neu anfangen zu können.
Die persönliche Katastrophe, die Anna widerfahren war, hatte vielleicht einen Vorteil: Sie konnte Dinge spüren, die anderen verborgen blieben. Und so ahnte Anna, dass ihr in der kommenden Nacht Unheil drohte.
Als Irene Kennedy die FBI-Kommandozentrale betrat, liefen die Telefone und Funkgeräte heiß. Sie kam gerade aus dem Konferenzzimmer auf der anderen Seite des Gebäudes, in dem sich Vizepräsident Baxter mit einigen Vertretern seines Kabinetts sowie Mitarbeitern von Geheimdienst und Bundeskriminalpolizei getroffen hatte. Von dort aus würde man das Gespräch zwischen Aziz und dem FBI-Unterhändler verfolgen und notwendige Entscheidungen treffen. Auf McMahons Wunsch sollte Irene Kennedy bei ihm in der Kommandozentrale des FBI bleiben, um ihm für eventuell auftretende Fragen zur Verfügung zu stehen.
An einem der Fenster, von denen aus man den Westflügel überblickte, stand Skip McMahon und unterhielt sich mit Justizministerin Tutwiler. Irene Kennedy ging auf die beiden zu, blieb jedoch in einiger Entfernung stehen, um nicht zu stören. Sie hörte mit einiger Besorgnis, was Skip sagte. Als sie sich umblickte, wuchsen ihre Befürchtungen noch mehr; es war schon fast neun Uhr, und der FBI-Unterhändler war nirgends zu sehen.
Nachdem McMahon der Justizministerin erklärt hatte, wie die verschiedenen Telefone funktionierten, wandte er sich Irene Kennedy zu. »Hallo, Irene«, sagte er, der Justizministerin den Rücken zukehrend, und verdrehte frustriert die Augen.
»Guten Morgen«, sagte Irene, nickte Margaret Tutwiler kurz zu und wandte sich gleich wieder McMahon zu. »Wo ist euer Unterhändler?«
Bevor McMahon antworten konnte, erwiderte Margaret Tutwiler: »Ich leite die Verhandlungen.«
»Also, nichts für ungut, Frau Justizminister«, erwiderte Irene Kennedy in möglichst neutralem Ton, »aber ich halte das nicht für die allerklügste Vorgangsweise.«
»Und warum, wenn man fragen darf?«, entgegnete Margaret Tutwiler aggressiv.
»Weil Rafik Aziz es als Beleidigung auffassen wird, dass wir eine Frau damit beauftragen, mit ihm zu verhandeln.«
»Als Justizministerin sehe ich es als meine Aufgabe an, die Verhandlungen zu leiten.«
Irene Kennedy dachte an das, was Mitch Rapp tags zuvor im Pentagon gesagt hatte, und fand, dass auch sie ihren Standpunkt klarmachen sollte. »Und ich sehe es als Leiterin der Abteilung für Terrorbekämpfung als meine Aufgabe an, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass Sie einen schweren Fehler begehen. Ich respektiere Ihre Leistungen, Frau Justizminister, aber Rafik Aziz wird das nicht tun. Er wird es als eine eklatante Beleidigung seiner Männlichkeit ansehen und Sie dafür büßen lassen.«
Margaret Tutwiler verschränkte trotzig die Arme. »Ich habe es in meinem Leben schon mit genug Machos zu tun gehabt, und ich habe gelernt, dass man ihnen die Stirn bieten muss.«
»Noch
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