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Der Anruf kam nach Mitternacht

Der Anruf kam nach Mitternacht

Titel: Der Anruf kam nach Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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anfangen.«
    Sarah holte die Tasche vom Nachttisch und leerte den Inhalt auf das Bett. Sie enthielt den üblichen Krimskrams und die ungeöffneten Umschläge, die sie aus Eves Briefkasten mitgenommen hatten.
    Nick nahm ihre Brieftasche zur Hand und sah Sarah fragend an.
    »Sieh nach«, forderte sie ihn auf, »ich habe keine Geheimnisse. Nicht vor dir.«
    Nach und nach holte er Kreditkarten heraus, dann die Fotografie. Ein paar Sekunden betrachtete er Geoffreys Bild, ehe er es auf das Bett legte. Während Nick die Unterlagen durchsah, die Sarah in den verschiedenen Fächern untergebracht hatte – Telefonnummern, Visitenkarten, Notizen –, setzte sie sich ihre Brille auf und fing an, Eves Post zu öffnen.
    Da waren drei Rechnungen. Nachdem sie die Stromrechnung überflogen hatte, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die Kreditkartenabrechnung. Eve hatte im letzten Monat nur zwei Eintragungen, und beide Male waren es Einkäufe bei Harrods gewesen.
    Dann öffnete Sarah den dritten Umschlag. Es war die Telefonrechnung. Rasch warf sie einen Blick auf die Abrechnung und wollte sie gerade beiseite zu den zwei anderen Rechnungen legen, als ihr unten auf dem Blatt ein Wort ins Auge sprang: Berlin. Es war ein Ferngespräch, das an einem Abend vor zwei Wochen geführt worden war.
    Sarah ergriff Nicks Arm. »Sieh dir das an! Die letzte Eintragung.«
    Er stieß einen leisen Pfiff aus und nahm ihr die Rechnung aus der Hand. »Dieser Anruf erfolgte am Tage des Brandes!«
    »Sie sagte mir, sie habe versucht, Geoffrey anzurufen, erinnerst du dich? Sie muss gewusst haben, wo sie ihn in Berlin erreichen würde …«
    »Vielleicht hat sie nicht ihn direkt angerufen. Möglicherweise handelt es sich um eine Kontaktperson. Sie wusste ja nicht, was ihm passiert war oder wo er sich aufhielt. Nick, sie musste wohl mit ihrer Weisheit am Ende gewesen sein … deshalb hat sie in Berlin angerufen. Ich wüsste gern, was für eine Nummer das ist.«
    »Wir dürfen es nicht herausfinden. Noch nicht.«
    »Weshalb nicht?«
    »Ein Ferngespräch könnte zum jetzigen Zeitpunkt einen Kontaktmann verschrecken. Wir sollten warten, bis wir in Berlin sind.« Er fing an, Sarahs Sachen wieder in ihre Handtasche zurückzulegen. »Morgen früh nehmen wir einen Zug aus der Stadt heraus. Ab Düsseldorf fahren wir dann mit dem ICE. Ich werde alle Fahrkarten besorgen. Ich halte es für besser, wenn wir getrennt einsteigen und uns im Zug treffen.«
    »Was passiert, sobald wir in Berlin sind?«
    »Dann rufen wir diese Nummer an und sehen, wer sich meldet. Ich habe in unserem Berliner Konsulat einen alten Freund, Wes Corrigan. Er könnte für uns die Kleinarbeiten erledigen.«
    »Können wir ihm vertrauen?«
    »Ich glaube schon. Wir waren zusammen in Honduras postiert. Er war in Ordnung …«
    »Du sagtest, wir könnten niemandem vertrauen.«
    Er nickte ernst. »Wir haben keine andere Wahl, Sarah. Dieses Risiko müssen wir auf uns nehmen. Ich verlasse mich auf eine Freundschaft …« Plötzlich fiel ihm ihr beunruhigter Blick auf. Wortlos nahm er Sarah in die Arme und zog sie auf das Bett herunter. Es war ein schwacher Versuch, die Angst, die sie beide hatten, mit dieser Umarmung zu verdrängen.
    »Es ist furchtbar, keine Zukunft vor sich zu sehen«, flüsterte sie. »Wenn ich zu weit vorausschaue, sehe ich nur Eve vor mir.«
    »Du bist nicht Eve.«
    »Gerade das macht mir Angst. Eve wusste wenigstens, was sie tat. Sie wusste, wie sie überleben konnte. Und jetzt ist sie tot. Welche Chance habe ich da?«
    »Wenn es dich ein bisschen tröstet: Du hast mich.«
    Sie berührte lächelnd sein Gesicht. »Du musst nicht bei mir bleiben, Nick. Ich bin diejenige, die sie haben wollen. Du könntest in die Staaten zurückfliegen …«
    »Pst, Sarah.«
    »Wenn du mich allein ließest, würde ich es sogar verstehen. Wirklich.«
    »Und was würdest du machen, wenn du auf dich allein angewiesen wärest? Du sprichst nicht ein Wort Deutsch. Dein Französisch ist … nun ja … drollig. Nein, du brauchst mich.«
    Da kam dies Wort schon wieder. Du brauchst mich. Ja, er hatte Recht. Sie brauchte ihn.
    »Außerdem«, sagte er, »kann ich dich jetzt nicht verlassen.«
    »Warum nicht?«
    Er lachte leise. »Weil ich zurzeit arbeitslos bin. Und wenn dies alles hier vorbei ist, habe ich vor, auf deine Kosten zu leben.«
    Sie stützte sich auf einen Ellbogen und schaute ihn an. Nick blinzelte schläfrig vor sich hin, und das kahle Licht der Glühbirne warf seltsame Schatten über sein Gesicht.

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