Der Anruf kam nach Mitternacht
länger in Berlin zu bleiben. Sie hatte sich einen teuren Fehler erlaubt, den sie überlebt hatte. Das nächste Mal würde sie vielleicht nicht mehr so viel Glück haben.
Nick bahnte sich seinen Weg durch die Schaulustigen, die den schwarzen Wagen umstanden. Überall lagen Glasscherben, Menschen gestikulierten heftig, und auf dem Bürgersteig vor dem Haus wurde auf einer Tragbahre eine zugedeckte Gestalt in den Rettungswagen geschoben. Nick benutzte seine Ellbogen, um nach vorne zu kommen, wurde aber gleich darauf von einem Polizisten aufgehalten.
»Potter!«, schrie er laut in die Menge, doch der Lärm um ihn herum war viel zu stark, die Polizeisirenen jaulten. Sein Ruf verklang ungehört. Entsetzt starrte er auf die Szenerie vor ihm.
»O’Hara!« Es war Potter, der ihn von der anderen Straßenseite her rief. »Sie ist nicht hier! Nur zwei Männer, der Fahrer und ein anderer, dort am Treppenabsatz. Beide tot.«
»Wo ist sie dann?«, schrie Nick zurück.
Potter zuckte die Schultern und drehte sich um. Tarasoff kam auf ihn zu.
Wütend über seine eigene Hilflosigkeit, bahnte Nick sich gewaltsam einen Weg durch die Menge und ging ziellos die Straße hinunter. Es war ihm gleich, wohin er ging. Was er gesehen hatte, reichte ihm. Ebenso gut hätte Sarah jetzt dort liegen können.
Nach ein paar Metern setzte er sich auf eine Bank und stützte den Kopf in beide Hände. Er fühlte sich absolut hilflos. All seine Hoffnungen lagen auf den Fähigkeiten eines Menschen, den er seit seinen Londoner Botschaftstagen verabscheut hatte: Roy Potter und der liebe, alte CIA!
Potter hatte sich nie um die Frage gekümmert, ob etwas recht oder unrecht war. Er tat, was er zu tun hatte, und scherte sich nicht um irgendwelche Regeln. Zum ersten Male in seinem Leben vermochte Nick, eine so unmoralische Einstellung zu akzeptieren. Da Sarahs Leben auf dem Spiel stand, war es ihm vollkommen gleichgültig, wie Potter seinen Job machte, solange er ihm Sarah lebend zurückbrachte.
»O’Hara?« Potter winkte ihm zu. »Kommen Sie her! Wir haben eine Spur!«
»Was?«, schrie Nick und sprang schnell auf. Er rannte zu Potter und stieg mit ihm und Tarasoff in deren Wagen.
»Die KLM Airlines«, erklärte Potter. »Sarah Fontaine hat mit einer Kreditkarte bezahlt.«
»Wollen Sie sagen, sie will Berlin verlassen? Roy, Sie müssen dieses Flugzeug aufhalten!«
Potter schüttelte den Kopf. »Dafür ist es zu spät. Die Maschine ist vor zehn Minuten gelandet. In Amsterdam.«
Sarah machte die Casa Morro ausfindig. Sie befand sich in der Nachbarschaft von schäbigen Kneipen und billigen Gaststätten in Amsterdams Rotlichtviertel. Die Dämmerung brach bereits herein, als sie die schmale Kanalbrücke zur Oude-Zijds-Voorburgwald-Straße überquerte. Überall waren die Nachtschwärmer im Licht der Neonreklamen unterwegs. Sarah war nur eine von vielen, die sich in diesem Amüsierviertel umsahen.
Sie blieb im Schatten am Ende der Brücke stehen und beobachtete die Vorbeigehenden. Unter ihr schwappte das dunkle Wasser des Kanals gemächlich gegen die vertäuten Boote. Ein junger Mann schlurfte halb betrunken an ihr vorüber. Sie sollten nicht schockiert sein!, hatte Helga zu ihr gesagt. Das war wirklich eine heruntergekommene Gegend und die Casa Morro eine dreckige Spelunke.
Eine halbe Stunde lang beobachtete sie das Treiben auf der Straße sowie das Kommen und Gehen aus den Bars und Clubs. Schließlich entschied sie sich, die Kneipe zu betreten.
Dicker Zigarettenqualm und der Gestank nach abgestandenem Bier hingen in der verbrauchten Luft. Das Haus selbst musste einst, in einem vergangenen Jahrhundert, recht hübsch gewesen sein. Eine schmale, enge Stiege führte an der Seite der Theke in das Obergeschoss. Ausgeblichene Teppiche bedeckten die abgetretenen Holzdielen. Nur wenige Menschen befanden sich im Schankraum, und alle machten einen abgerissenen, schlampigen Eindruck.
Eine Frau hinter der Theke blickte auf und sah ihr entgegen. Sie war in den Vierzigern, schwarzhaarig und trug ein schmuddeliges Kleid. Als Sarah auf sie zutrat, fragte sie: »Kan ik u helpen?«
»Ich suche nach Corrie.«
Nach einer Pause nickte die Frau. »Sie sind Amerikanerin, nicht wahr?«, fragte sie dann in gutem Englisch.
Sarah antwortete nicht. Langsam glitt ihr Blick noch einmal durch den rauchverhangenen Raum, als suche sie jemanden. Dann drehte sie sich wieder zu der Frau um. »Helga hat mich geschickt«, sagte sie endlich.
Das Gesicht der Frau blieb absolut
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