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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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dass sie krank ist. Außerdem … sehe ich das einfach als Schauspielerei.« Er nahm eine Stierkämpferpose ein – was nicht leicht war, wenn man ein Tablett mit Kanapees trug. »¡Arriba!«
    »Nicht schlecht, aber …«
    »Ich weiß, ich hab die Rolle noch nicht verinnerlicht. Man muss in sie eintauchen, stimmt’s?«
    »Brando hat jedenfalls Erfolg damit. Wie seid ihr Jungs in diesem Herbst drauf, Mike?«
    »Im letzten Schuljahr? Jim als Quarterback? Ich, Hank Alvarez, Chip Wiggins und Carl Crockett auf der Linie? Wir spielen um die Landesmeisterschaft mit, und der goldene Ball kommt in unseren Trophäenschrank.«
    »Gefällt mir, eure Einstellung.«
    »Studieren Sie diesen Herbst wieder ein Stück ein, Mr. Amberson?«
    »Das ist der Plan.«
    »Gut. Heben Sie mir eine Rolle auf … Als Footballspieler kann ich natürlich nur eine kleine brauchen. Hören Sie sich die Band an, die ist nicht übel.«
    Die Band war weit besser als nicht übel. Das Logo auf der Basstrommel identifizierte sie als The Knights. Der jugendliche Leadsänger gab den Einsatz, und die Band legte mit »Ooh, My Head« los, einer heißen Version des alten Songs von Ritchie Valens – im Sommer 1961 noch nicht sehr alt, obwohl Valens knapp zwei Jahre zuvor gestorben war.
    Ich holte mir ein Bier in einem Pappbecher und trat näher ans Musikpodium heran. Die Stimme des Jungen kam mir bekannt vor. Ebenso das Klavier, das so klang, als wünschte es sich ver zweifelt, ein Akkordeon zu sein. Und plötzlich klickte es bei mir. Der Junge war Doug Sahm, der in nicht allzu vielen Jahren eigene Hits haben würde: »She’s About a Mover« zum einen, »Mendocino« zum anderen. Das würde während der Invasion der Briten sein, weshalb die Band, die im Prinzip Tejano -Rock spielte, dann einen pseudobritischen Namen annahm: The Sir Douglas Quintet.
    »George? Kommen Sie her, damit ich Sie mit jemandem bekannt machen kann, ja?«
    Ich drehte mich um. Mimi kam den sanft abfallenden Rasen mit einer Frau im Schlepptau herunter. Mein erster Eindruck von Sadie – bestimmt jedermanns erster Eindruck – betraf ihre Größe. Wie die meisten Frauen hier trug sie Schuhe mit flachen Absätzen, weil sie wusste, dass sie nachmittags und abends auf Rasen stehen würde, aber hier stand eine Frau, die vermutlich letztmals bei ihrer Hochzeit hohe Absätze getragen hatte – und selbst bei dieser Gelegenheit konnte sie unter einem langen Brautkleid flache Absätze getragen haben, damit sie vor dem Altar nicht komisch wirkte, weil sie den Bräutigam überragte. Sie war bestimmt einen Meter fünfundachtzig groß, vielleicht sogar grö ßer. Ich überragte sie um mindestens zehn Zentimeter, aber außer Coach Borman und Greg Underwood, einem Geschichtslehrer, war ich vermutlich der einzige Anwesende, auf den das zutraf. Und Greg war eine Bohnenstange. Sadie war, wie man da mals sagte, ein steiler Zahn. Das wusste sie, und es machte sie eher verlegen als stolz. Das sah ich an der Art, wie sie sich bewegte.
    Ich weiß, dass ich etwas zu groß bin, um als normal zu gelten, sagte ihr Gang. Wie sie ihre Schultern hielt, sagte noch mehr: Ich kann nichts dafür, ich bin einfach so gewachsen. Wie Topsy der Elefant. Sie trug ein mit Rosen bedrucktes, ärmelloses Kleid. Ihre Arme waren gebräunt. Sie hatte etwas rosa Lippenstift aufgelegt, trug aber sonst kein Make-up.
    Keine Liebe auf den ersten Blick, das weiß ich ziemlich sicher, aber meine Erinnerung an diesen ersten Anblick ist überraschend klar. Würde ich behaupten, meine erste Begegnung mit der ehemaligen Christy Epping sei mir ebenso im Gedächtnis geblieben, wäre das gelogen. Das war natürlich in einem Tanzclub gewesen, und wir waren beide angeheitert, also ist das vielleicht entschuldbar.
    Sadie sah gut aus; sie war ein natürliches amerikanisches Was-man-sieht-ist-was-man-kriegt-Girl. Und sie war noch etwas anderes. Am Tag der Party glaubte ich, dieses andere wäre einfach nur die Unbeholfenheit eines großen Menschen. Später merkte ich, dass sie keineswegs linkisch, sondern das genaue Gegenteil davon war.
    Auch Mimi sah gut aus – oder wenigstens nicht schlechter als an dem Tag, an dem sie mich besucht und dazu überredet hatte, als Vollzeitkraft zu unterrichten –, aber sie trug Make-up, was ungewöhnlich war. Allerdings konnten es weder der Schatten unter ihren Augen, die vermutlich von Schmerzen und Schlaflosigkeit herrührten, noch die neuen Falten um die Mundwinkel verdecken. Aber sie lächelte – was kein Wunder war.

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