Der Anschlag - King, S: Anschlag
aufgeschlagenen Immobilienteil einer Zeitung unter dem Arm) beobachtete ich Mr. Hazzard, einen hünenhaften Mittdreißiger, seine beiden Kinder, mit denen Rosette nicht hatte spielen wollen, und eine alte Frau mit starrem Gesicht, die beim Gehen ein Bein nachzog. Bei einer Gelegenheit musterte Hazzards Mama mich vom Briefkasten aus misstrauisch, als ich auf dem Seitenstreifen, der als Gehweg diente, vorbeischlenderte, aber sie sprach mich nicht an.
Bei meinem dritten Erkundungsvorstoß sah ich an Hazzards Pick-up einen verrosteten alten Anhänger. Die Kinder und er beluden ihn mit Kartons, während die alte Dame in ihrer Nähe auf der eben sprießenden Fingerhirse stand, auf ihren Stock gestützt und mit einem Schlaganfallgrinsen, das keine Gefühlsregung erkennen ließ. Ich tippte auf völlige Gleichgültigkeit. Dagegen empfand ich erleichterte Zufriedenheit. Die Hazzards zogen aus. Sobald sie fort waren, würde ein Lohnabhängiger namens George Amberson die Nummer 2706 mieten. Jetzt kam es darauf an, dass ich auch wirklich der Erste in der Schlange war.
Während wir unsere samstäglichen Einkäufe machten, dachte ich darüber nach, ob sich das auf narrensichere Weise machen ließ. Auf einer Ebene reagierte ich auf Sadie, machte die richtigen Bemerkungen, neckte sie, als sie endlos lange bei den Molkereiprodukten stand, schob meinen mit Lebensmitteln beladenen Wagen über den Parkplatz und stellte die Tüten in den Kofferraum meines Fords. Aber das alles erledigte der eingeschaltete Autopilot, denn der größte Teil meines Verstands war mit der Logistik in Fort Worth beschäftigt – und das sollte mein Verderben sein. Ich achtete nicht darauf, was aus meinem Mund kam, und wenn man ein Doppelleben führte, war das brandgefährlich.
Als ich zu Sadies Haus zurückfuhr, wobei sie (allzu still) neben mir saß, sang ich, weil das Autoradio kaputt war. Auch die Ventile hatten zu klappern angefangen. Der Sunliner sah noch flott aus, und ich hing aus allen möglichen Gründen an ihm, aber er war vor sieben Jahren vom Band gelaufen und hatte über neunzigtausend Meilen auf dem Tacho.
Ich trug Sadies Einkäufe alle auf einmal in die Küche, keuchte dabei heldenhaft und tat sogar so, als würde ich stolpern. Mir fiel nicht auf, dass sie nicht lächelte, und ich ahnte nicht im Geringsten, dass unser kurzes Aufblühen schon wieder vorüber war. Ich dachte immer noch an die Mercedes Street und fragte mich immer noch, was für eine Art Show ich dort würde abziehen müssen – oder vielmehr: wie viel Show. Es würde nicht einfach sein. Ich wollte ein vertrautes Gesicht sein, weil Vertrautheit nicht nur Verachtung, sondern auch Desinteresse erzeugte, aber ich wollte unter keinen Umständen auffallen. Zu bedenken war auch die Sache mit den Oswalds. Sie sprach kein Englisch, und er war von Natur aus ein kalter Fisch, was nur gut war, aber die Nummer 2706 stand trotzdem schrecklich nahe. Die Vergangenheit mochte unerbittlich sein, aber die Zukunft war zerbrechlich, ein Kartenhaus, und ich musste sorgfältig darauf achten, sie nicht vor dem entscheidenden Zeitpunkt zu verändern. Also würde ich …
In diesem Augenblick sprach Sadie mich an, und wenig später brach das Leben, wie ich es in Jodie kennen (und lieben) gelernt hatte, um mich herum zusammen.
11
»George? Kannst du ins Wohnzimmer kommen? Ich möchte mit dir reden.«
»Sollen nicht erst das Hackfleisch und die Koteletts in den Kühlschrank? Und dann ist da noch die Eis…«
»Lass sie schmelzen!«, schrie sie, und das schreckte mich sofort aus meinen Gedanken auf.
Ich drehte mich nach ihr um, aber Sadie war bereits im Wohnzimmer. Sie nahm ihre Zigaretten vom Beistelltisch neben der Couch und zündete sich eine an. Auf mein sanftes Drängen hin hatte sie versucht, weniger zu rauchen (wenigstens in meiner Anwesenheit), und die angezündete Zigarette erschien mir irgendwie beunruhigender als ihre erhobene Stimme.
Ich trat ins Wohnzimmer. »Was hast du, Schatz? Was ist nicht in Ordnung?«
»Alles. Was war das für ein Lied?«
Ihr Gesicht war blass und starr. Die Zigarette hielt sie wie einen Schild vor ihre Lippen. Ich begann zu ahnen, dass ich mich verraten hatte, aber ich wusste nicht, wo oder wann – und das war beängstigend. »Ich weiß nicht, was du …«
»Das Lied, das du auf der Nachhausefahrt im Auto gesungen hast. Das du lauthals gegrölt hast.«
Ich versuchte mich zu erinnern, schaffte es aber nicht. Mir fiel nur ein, dass ich mir überlegt hatte, mich
Weitere Kostenlose Bücher