Der Anschlag - King, S: Anschlag
hatte.
Am nächsten Tag ging ich in ein Sportgeschäft, kaufte ein Fern glas von Bausch & Lomb und nahm mir vor, mich vor Lichtreflexen auf den Objektiven in Acht zu nehmen. Weil die Nummer 2703 auf der Ostseite der Mercedes Street lag, konnte mir in dieser Beziehung meiner Einschätzung nach ab Mittag nichts passieren. Als ich das Fernglas durch die einen Spalt weit geöffneten Vorhänge schob und die Schärfe einstellte, erschien die schäbige Wohnküche auf der anderen Straßenseite so hell und detailliert, als stünde ich mittendrin.
Die Schiefe Lampe von Pisa stand weiterhin auf der Kommode mit den Küchengeräten, als würde sie darauf warten, dass jemand sie einschaltete und die Wanze aktivierte. Aber die würde mir nichts nutzen, wenn sie nicht mit dem raffinierten kleinen Bandgerät aus japanischer Produktion verbunden war, der bei langsamster Geschwindigkeit bis zu zwölf Stunden aufnehmen konnte. Ich hatte ihn ausprobiert, indem ich in die ebenfalls mit einer Wanze präparierte Reservelampe gesprochen hatte (wobei ich mir wie ein Typ in einer Woody-Allen-Komödie vorgekommen war), und obwohl die Wiedergabe sehr gedehnt klang, war das Gesagte gut verständlich. Das alles bedeutete, dass ich theoretisch so weit war.
Wenn ich mich traute.
10
In der Mercedes Street war der 4. Juli, der Unabhängigkeitstag, ein geschäftiger Tag. Männer, die frei hatten, spritzten Rasenflächen ab, die nicht mehr zu retten waren – bis auf ein paar Gewitter nachmittags und abends war das Wetter heiß und trocken gewesen –, und ließen sich dann in Gartensessel fallen, um Baseballübertragungen im Radio zu hören und Bier zu trinken. Kinderhorden warfen Feuerwerkskörper nach streunenden Hunden und den wenigen freilaufenden Hühnern. Eines der Hühner wurde von einem Knallkörper getroffen und explodierte in einer Masse aus Blut und Federn. Das Kind, das ihn geworfen hatte, wurde von seiner laut kreischenden Mutter, die nichts als einen Schlüpfer und eine Farmall-Baseballmütze trug, in eines der Häuser entlang der Straße gezerrt. Ihr unsicherer Gang ließ mich vermuten, dass sie selbst ein paar Bierchen intus hatte. Eine Art Feuerwerk gab es kurz nach zehn Uhr abends, als jemand – vermutlich der Teenager, der die Reifen meines Cabrios zerstochen hatte – einen alten Studebaker anzündete, der seit ungefähr einer Woche abgemeldet auf dem Parkplatz des Montgomery-Ward-Lagerhauses stand. Die Feuerwehr kam, um den Brand zu löschen, und die ganze Straße lief zusammen, um bei den Löscharbeiten zuzusehen.
Heil dir, Columbia.
Am Morgen danach ging ich hinüber, um mir das ausgebrannte Autowrack anzusehen, das traurig auf den geschmolzenen Überresten seiner Reifen stand. Als ich in der Nähe der Ladebuchten des Lagerhauses eine Telefonzelle entdeckte, rief ich aus einem Impuls heraus Ellen Dockerty an, indem ich die Telefonistin die Nummer heraussuchen und mich mit ihr verbinden ließ. Ich machte das aus Einsamkeit und Heimweh, aber vor allem, weil ich Nachrichten von Sadie hören wollte.
Ellie meldete sich nach dem zweiten Klingeln und schien entzückt zu sein, meine Stimme zu hören. Das ließ mich in meiner bereits glühheißen Telefonzelle lächeln, während die Mercedes Street sich hinter mir von dem Glorreichen Vierten ausschlief und ich den Gestank von verbranntem Gummi in der Nase hatte.
»Sadie geht es gut. Sie hat mir zwei Postkarten und einen Brief geschrieben. Sie arbeitet bei Harrah’s als Bedienung.« Sie senkte die Stimme. »Sie serviert Cocktails, glaube ich, aber von mir erfährt der Schulausschuss das nie.«
Ich stellte mir Sadies lange Beine im kurzen Rock einer Cocktailkellnerin vor. Ich stellte mir vor, wie Geschäftsleute versuchten, den Oberrand ihrer Strümpfe zu sehen oder ihr ins Dekolleté zu starren, wenn sie sich vorbeugte, um Drinks auf den Tisch zu stellen.
»Sie hat nach Ihnen gefragt«, sagte Ellie, was mich wieder lächeln ließ. »Ich wollte ihr nicht erzählen, dass Sie spurlos verschwunden sind, jedenfalls aus Sicht aller in Jodie, deshalb habe ich behauptet, Sie arbeiten fleißig an Ihrem Buch und sind guter Dinge.«
Ich hatte The Murder Place seit über einem Monat kein einziges Wort hinzugefügt, und als ich das Manuskript zweimal in die Hand genommen und zu lesen versucht hatte, schien es in der punischen Sprache des dritten Jahrhunderts vor Christus verfasst worden zu sein. »Freut mich, dass es ihr gutgeht.«
»Ihre Residenzpflicht ist Ende des Monats erfüllt, aber
Weitere Kostenlose Bücher