Der Anschlag - King, S: Anschlag
sie will noch bis zum Ende der Sommerferien in Reno bleiben. Die Trinkgelder sind sehr gut, sagt sie.«
»Haben Sie sie um ein Foto von ihrem zukünftigen Exmann gebeten?«
»Kurz vor ihrer Abreise. Sie hat gesagt, sie hat keins. Sie glaubt, dass ihre Eltern mehrere haben, wollte ihnen aber nicht schreiben und sie um eins bitten. Offenbar haben ihre Eltern die Ehe nie aufgegeben, und Sadie wollte keine falschen Hoffnungen wecken. Außerdem hat sie gesagt, dass sie Ihre Reaktion für übertrieben hält. Maßlos übertrieben.«
Das klang ganz nach meiner Sadie. Nur war sie nicht mehr mein. Jetzt war sie nur he, Bedienung, bringen Sie uns noch ’ne Runde … und beugen Sie sich diesmal ein bisschen tiefer runter. Jeder Mensch besaß einen Eifersuchtsnerv, und meiner vibrierte am Morgen des 5. Juli heftig.
»George? Ich bin überzeugt, dass Sadie Sie immer noch mag. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, das ganze Durcheinander aufzuklären.«
Ich dachte an Lee Oswald, der sein Attentat auf General Edwin Walker erst in neun Monaten verüben würde. »Es ist zu früh«, sagte ich.
»Wie bitte?«
»Nichts. Es war schön, mit Ihnen zu reden, Miz Ellie, aber die Telefonistin wird mich gleich auffordern, mehr Geld einzuwerfen, und ich habe keine Quarter mehr.«
»Sie haben wohl keine Zeit, auf einen Hamburger und einen Milchshake vorbeizuschauen? Vielleicht im Diner? Dann würde ich Deke Simmons dazu einladen. Er fragt fast täglich nach Ihnen.«
Der Gedanke, nach Jodie zurückzukehren und meine Freunde aus der Highschool wiederzusehen, war ungefähr das Einzige, was mich an diesem Morgen aufheitern konnte. »Gern, Miz Ellie. Wäre heute Abend zu früh? Gegen fünf Uhr?«
»Das wäre ideal. Wir Landmäuse essen früh.«
»Gut. Dann bis später. Die Runde geht auf mich.«
»Wir können ja eine Münze werfen.«
11
Al Stevens hatte ein Mädchen eingestellt, das ich aus dem Wirtschaftssprache-Unterricht kannte, und ich war gerührt darüber, wie sehr sie strahlte, als sie sah, wer da bei Ellie und Deke saß. »Mr. Amberson! Wow, großartig, Sie zu sehen! Wie geht es Ihnen?«
»Gut, Dorrie«, sagte ich.
»Nun, bestellen Sie nur ordentlich. Sie haben abgenommen.«
»Das stimmt«, sagte Ellie. »Sie brauchen jemand, der sich um Sie kümmert.«
Dekes mexikanische Sonnenbräune war verblasst, was mir verriet, dass er seinen Ruhestand größtenteils im Haus verbrachte, und was ich abgenommen hatte, hatte er zugelegt. Er schüttelte mir kräftig die Hand und sagte, dass es ihn freue, mich zu sehen. Deke war ein Mensch, der keine Verstellung kannte. Das traf übri gens auch auf Ellen Dockerty zu. Dass ich diesen Ort zugunsten der Mercedes Street verlassen hatte, wo sie den Unabhängigkeitstag damit feierten, dass sie Hühner in die Luft jagten, kam mir unabhängig davon, was ich über die Zukunft wusste, zunehmend verrückter vor. Ich konnte nur hoffen, dass Kennedy das wert war.
Wir aßen Hamburger, dünne, fettheiße Pommes frites und Apfelkuchen mit Eis. Wir sprachen darüber, wer was machte, und lachten über Danny Laverty, der endlich sein lange angekündigtes Buch schrieb. Ellie berichtete, dass Dannys Frau ihr erzählt habe, das erste Kapitel sei überschrieben mit »Ich stürze mich ins Kampfgetümmel«.
Als Deke nach dem Essen seine Pfeife mit Prince Albert stopfte, griff Ellen in die Tragetasche, die sie unter den Tisch gestellt hatte, und zog ein großes Buch heraus, das sie mir über unsere leer gegessenen Teller hinhielt. »Seite neunundachtzig. Und passen Sie bitte auf, dass kein Ketchup drankommt, ja? Das Buch ist nur geliehen, und ich möchte es so zurückgeben, wie ich es bekommen habe.«
Das Jahrbuch mit dem Titel Tiger Tails kam aus einer Highschool, die offenbar weit schicker war als die DCHS . Tiger Tails war in Leder statt in Leinen gebunden, das Papier war dick und glänzend, und der Anzeigenteil hinten war mindestens hundert Seiten stark. Die Einrichtung, die hier vorgestellt wurde – bejubelt traf es eher –, war die Longacre Day School in Savannah. Ich blätterte die Seiten mit der reinweißen Oberstufe durch und stellte mir vor, dass es dort bis zum Jahr 1990 ein paar schwarze Gesichter geben würde. Vielleicht.
»Heiliger Strohsack«, sagte ich. »Sadie muss auf einen Haufen Kohle verzichtet haben, als sie aus Savannah nach Jodie gekommen ist.«
»Ich glaube, dass sie unbedingt wegwollte«, sagte Deke ruhig. »Und sie hatte bestimmt ihre Gründe.«
Ich schlug Seite neunundachtzig mit
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