Der Anschlag - King, S: Anschlag
weiß nur, dass ich so oder so nichts dagegen tun kann. Das heißt, außer wenn du willst, dass ich dir den Diner vermache. Das könnte ich durchaus tun. Dann könntest du zur Nationalen Gesellschaft für Denkmalschutz gehen und sagen: ›He, Jungs, ihr dürft nicht zulassen, dass im Hof der alten Worumbo-Weberei ein Outlet Store gebaut wird. Dort befindet sich ein Zeittunnel. Ich weiß, das ist schwer zu glauben, aber ich kann ihn euch zeigen.‹«
Einen Augenblick lang dachte ich ernsthaft über diesen Vorschlag nach, weil Al vermutlich recht hatte: Die in die Vergangenheit führende Spalte war mit einiger Sicherheit fragil. Soviel ich wusste (oder er wusste), konnte sie wie eine Seifenblase zerplatzen, wenn an dem Aluminaire auch nur kräftig gerüttelt wurde. Dann dachte ich daran, dass Washington auf den Trichter käme, dass es Spezialeinheiten in die Vergangenheit entsenden konnte, um alles ändern zu lassen, was es wollte. Ich wusste nicht, ob das möglich war, aber falls ja, waren die Leute, die uns so lustiges Zeug wie Biowaffen und computergesteuerte intelligente Bomben beschert hatten, die letzten Leute, denen ich Gelegenheit verschaffen wollte, ihre verdeckten Strategien in lebende, wehrlose Geschichte einzuführen.
In der Minute, in der mir dieser Gedanke kam – nein, in der Sekunde –, wusste ich, was Al beabsichtigte. Nur die Einzelheiten waren noch unklar. Ich stellte meinen Eistee ab und stand auf.
»Nein. Auf keinen Fall. Kommt nicht infrage.«
Al nahm das gelassen auf. Weil er vom Oxycontin stoned war, könnte ich behaupten, aber ich wusste es besser. Er konnte sehen, dass ich nicht einfach gehen würde, unabhängig davon, was ich sagte. Meine Neugier – ganz zu schweigen von meiner Faszination – umgab mich vermutlich wie die aufgestellten Stacheln eines Stachelschweins. Irgendwas in mir wollte nämlich unbedingt die näheren Einzelheiten erfahren.
»Ich merke, dass ich den einleitenden Teil überspringen und gleich zur Sache kommen kann«, sagte Al. »Das ist gut. Setz dich, Jake, dann verrate ich dir den einzigen Grund, der mich daran hindert, meinen ganzen Vorrat an kleinen, rosa Pillen auf einmal zu schlucken.« Und als ich stehen blieb: »Du weißt, dass du das hören willst, und was kann es schon schaden? Selbst wenn ich dich dazu bringen könnte, hier im Jahr 2011 etwas zu tun – was ich nicht kann –, hätte ich keinen Einfluss darauf, was du in der Vergangenheit tust. Sobald du dort anlangst, ist Al Templeton ein Vierjähriger in Bloomington, Indiana, der mit einer Lone-Ranger-Maske im Garten herumrennt und noch gewisse Defizite in der Sauberkeitserziehung hat. Setz dich also ruhig. Damit gehst du keinerlei Verpflichtung ein, wie’s in der Werbung heißt.«
Richtig. Andererseits hätte meine Mutter gesagt: Der Teufel spricht mit süßer Stimme.
Aber ich setzte mich.
3
»Du kennst den Ausdruck an einer Wasserscheide stehen, Kumpel, oder?«
Ich nickte. Man brauchte kein Englischlehrer zu sein, um ihn zu kennen; man musste nicht einmal lesen können. Er gehörte zu den ärgerlichen Schlagworten, mit denen man in den Nachrichten der Kabelsender tagaus, tagein bombardiert wurde. Dazu gehörten auch gut aufgestellt sein und der aktuelle Stand der Dinge. Am ärgerlichsten waren absolute Leerformeln (über die ich vor meinen sichtlich gelangweilten Schülern immer wieder hergezogen bin) à la manche Leute sagen oder viele Leute glauben.
»Weißt du, woher der Ausdruck kommt? Welchen Ursprung er hat?«
»Nein.«
»Kartografie. Eine Wasserscheide bezeichnet einen Gebirgs- oder Höhenzug, der die Einzugsgebiete zweier Flüsse voneinander trennt. Auch die Geschichte ist ein Fluss. Findest du das nicht auch?«
»Ja, das stimmt wohl.« Ich trank einen Schluck von meinem Tee.
»Manchmal sind es großflächige Ereignisse, die Geschichte ma chen – wie lange, starke Niederschläge im gesamten Einzugsgebiet eines Flusses, die ihn über die Ufer treten lassen. Aber Flüsse können selbst an sonnigen Tagen Hochwasser führen. Dafür genügen lange, starke Niederschläge in einem kleinen Teil des Einzugsgebiets. Auch in der Geschichte gibt es Sturzfluten. Willst du Beispiele dafür? Wie wär’s mit dem 11. September 2001? Oder mit Bushs Wahlsieg über Gore?«
»Eine Präsidentenwahl kannst du nicht mit einer Sturzflut vergleichen, Al.«
»Vielleicht nicht jede, aber die im Jahr 2000 war eine Klasse für sich. Nehmen wir mal an, du könntest im Herbst null-null nach Florida
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