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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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war Lee verschwunden. Wie durch einen Zaubertrick.
    Ich ging langsam die Straße entlang weiter. Ich wünschte mir, ich hätte eine Mütze aufgesetzt, vielleicht sogar eine Sonnenbrille – warum hatte ich das nicht getan? Was für eine halb gare Art Geheimagent war ich überhaupt?
    Ungefähr in der Mitte des Straßenblocks erreichte ich ein Café, in dessen Fenster für FRÜHSTÜCK GANZTÄGIG geworben wurde. Lee war nicht darin. Nach dem Café lag die Einmündung einer Gasse. Ich schlenderte daran vorbei, sah nach rechts und entdeckte ihn. Lee kehrte mir den Rücken zu. Er hatte seine Kamera aus der Tüte genommen, fotografierte aber nicht damit, zumindest noch nicht. Er begutachtete Mülltonnen. Er nahm die Deckel ab, sah hinein und schloss sie wieder.
    Jede Faser meines Körpers – jeder meiner tief verborgenen Instinkte, das wäre wohl richtiger – drängte mich dazu, rasch weiterzugehen, bevor er sich umdrehte und mich bemerkte, aber eine machtvolle Faszination zwang mich dazu, noch etwas länger auszuharren. Ich denke, dass es den meisten Leuten wohl ähnlich ergangen wäre. Wie oft hatten wir schließlich Gelegenheit, einen Kerl bei seinen Vorbereitungen für einen eiskalten Mord zu beobachten?
    Lee ging weiter in die Gasse hinein und blieb dann vor einem eisernen Gullydeckel stehen. Er versuchte ihn anzuheben. Aussichtslos.
    Die etwa zweihundert Meter lange Gasse war nicht asphaltiert und wies zahlreiche Schlaglöcher auf. Nach halber Länge wich der Maschendrahtzaun, der verunkrautete Gärten und unbebaute Grundstücke schützte, einem hohen Bretterzaun. Der Efeu, mit dem er bewachsen war, wirkte nach dem langen, kalten Winter nicht gerade üppig grün. Lee schob die Efeumatte beiseite und zog an einem der Bretter. Es ließ sich zur Seite ziehen, und er spähte in das Loch dahinter.
    Lehrsätze darüber, dass eben Späne fielen, wo gehobelt werde, waren schön und gut, aber ich hatte das Gefühl, mein Glück genug strapaziert zu haben. Ich kehrte um und ging zurück. Am Ende des Blocks blieb ich vor der Kirche stehen, für die Lee sich interessiert hatte. Es war eine Mormonenkirche. Auf der Anschlagtafel stand, dass es außer den regulären Sonntagsgottesdiensten jeweils mittwochs um 19 Uhr spezielle Begrüßungsgottesdienste für neue Gemeindemitglieder gebe. Bei dem jeweils anschließenden kleinen Empfang stünden Erfrischungen bereit.
    Der 10. April war ein Mittwoch, und Lees Plan (falls es nicht de Mohrenschildts war) schien jetzt klar zu sein: Er würde das Gewehr frühzeitig in der Gasse verstecken und dann warten, bis der Begrüßungsgottesdienst – und natürlich der kleine Empfang – vorbei war. Er würde die Gottesdienstbesucher hören können, wenn sie aus der Kirche kamen und lachend und plaudernd zur Bushaltestelle gingen. Die Busse fuhren alle Viertelstunde, sodass es nie lange dauern würde, bis einer kam. Lee würde seinen Schuss abgeben, das Gewehr wieder hinter dem losen Brett ( nicht in der Nähe der Bahngleise) verstecken und sich unter die Kirchgänger mischen. Und mit dem nächsten Bus war er dann fort.
    Ich blickte rechtzeitig nach rechts, um zu sehen, wie er aus der Gasse kam. Die Kamera steckte wieder in der Tüte. Lee ging zur Bushaltestelle und lehnte sich dort an den Telefonmast. Ein Mann kam vorbei und fragte ihn etwas. Daraus entwickelte sich ein Gespräch. Eine Unterhaltung mit einem Fremden … oder war das ein weiterer Freund de Mohrenschildts? Nur irgendein Kerl auf der Straße oder ein Mitverschwörer? Vielleicht sogar der berühmte Unbekannte Schütze, der nach Ansicht der Verschwörungstheoretiker auf dem Grashügel an der Dealey Plaza gelauert hatte, als Kennedys Autokolonne näher gekommen war? Ich sagte mir, dass das verrückte Ideen waren. Was vermutlich auch stimmte, aber es war unmöglich, sich darüber Gewissheit zu verschaffen. Das war das Schlimme daran.
    Überhaupt stand nichts sicher fest, und diese Ungewissheit würde anhalten, bis ich mit eigenen Augen sah, dass Oswald am Abend des 10. April allein war. Nicht einmal dann würden meine letzten Zweifel ausgeräumt sein, aber es würde ausreichen, um weiterzumachen.
    Ausreichen, um Junes Vater erschießen zu können.
    Ein Bus kam herangebrummt und hielt. Geheimagent X - 19 – auch als Lee Harvey Oswald, der berühmte Marxist und Frauenmisshandler, bekannt – stieg ein. Sobald der Bus außer Sicht war, ging ich zu der Gasse zurück und schritt sie ganz ab. Sie endete an einem großen, nicht eingezäunten

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